»Man muss ja nicht unbedingt spielen, um Musiker zu sein.«

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Ein Gespräch über Selbstverständnis und Zeit, Freundschaft und den Verlust von Sprache.

Text · Titelbild Giorgia Bertazzi · Datum 29.11.2017

Was ist ein Duo außer zwei Menschen an zwei Instrumenten? Wer kommuniziert wie und mit wem? Und wie geht man damit um, wenn eine der gemeinsamen Sprachen plötzlich verstummt? Gunilla Süssmann und Tanja Tetzlaff haben als Duo in den letzten Jahren regelmäßig konzertiert und zwei CDs (Brahms und ein nordisch-russisches Programm) eingespielt. Anfang dieses Jahres folgte eine Aufnahmesession mit Stücken Einojuhani Rautavaaras. Im Mai wurde bei Gunilla Süssmann Fokale Dystonie diagnostiziert.Das hier sollte eigentlich ein Interview werden, doch wir haben die beiden einfach miteinander sprechen lassen – über Freundschaft und ihre Sprachen, den Umgang mit der Krankheit und die aktuelle CD-Produktion.

Gunilla: Wir haben 17 Jahre lang zusammengespielt – eine ziemlich lange Ehe. Diese musikalische Sprache des Emotionalen, wirklich Dunklen hat uns immer angezogen – wie eine riesige, dunkle und mysteriöse Landschaft. Rautavaaras Musik fühlt sich wie eine direkte Sprache an, unmittelbar, bei der du keine Übersetzung brauchst für deine Gefühlsausbrüche oder Ausdrucksformen.

Tanja: Die Stücke sind sehr unterschiedlich. Die erste Sonate ist noch wirklich wunderschön und romantisch, hat aber auch schon diese abrupten Einbrüche, als würde irgendwas zerschlagen von der alten Welt. Die zweite Sonate ist schon extremer, wir haben da auch diese – wir wissen nicht ob lustige oder destruktive – Polska dazu aufgenommen, mit Multitrack, da spiele ich also mit mir selber. Es fühlt sich so an, als würden wir unsere Lieblingsspielzeuge zerschlagen … was man lustig sehen kann, aber auch sehr bitter.

Johannes Brahms Cellosonate No.2 F-Dur op. 99 I. Allegro vivace • Link zur Aufnahme

Gunilla: In der Rückschau ist es eine Art Testament. Im Mai wurde bei mir Fokale Dystonie diagnostiziert. Das kam nicht plötzlich, es war ein schleichender Prozess, den ich erst mit der Zeit bemerkt habe, aber ich wusste irgendwie – auch mit Blick auf die CD-Produktion – dass es in jeder Hinsicht ein sehr komprimierter Prozess ist, der irgendwann vor die Wand fahren würde. Ich kam dem Punkt immer näher, an dem es plötzlich nicht mehr weiterging. Obwohl die Zusammenarbeit bei uns immer sehr intensiv war, war sie es bei dieser Aufnahme noch mehr, weil all die Probleme sehr präsent waren, auch wenn ich noch nicht genau Bescheid wusste. Es war ein Kampf und ich freue mich sehr, dass wir ihn ausgetragen haben – aber die Situation hat jetzt trotzdem etwas Unmögliches: Wir sitzen hier und reden über etwas, das zu einem sehr bestimmten Zeitraum unseres Lebens gehört, der eigentlich hätte weitergehen sollen.

Tanja: In unserem Klassikbusiness muss stets alles optimistisch und ›shiny‹ sein, jeder ist ein Held und niemand wird krank, niemand ist hässlich, es gibt kein Altern und alles ist 100% perfekt. Wir haben uns entschieden, die Geschichte hinter den Menschen und der Aufnahme nicht zu verstecken, das ist uns wichtig, abgesehen davon, dass es auch einfach tolle Musik ist, die man entdecken sollte. Wir haben für uns festgestellt, dass es eine persönliche Katastrophe ist, dass wir nicht mehr zusammenspielen können. Aber was bleibt, ist, dass wir immer noch genauso miteinander sprechen wie vorher, genauso empfinden füreinander als Freunde. Das ist viel wichtiger als alles andere.

Vielleicht ist es für die Zuhörer gut zu wissen, dass Musikmachen großartig ist. Unser Beruf Konzerte zu spielen ist großartig und wunderschön. Aber es gibt Dinge, die noch tiefer gehen und die mehr bedeuten, als nur das.

Gunilla: Ich denke auch, dass es wichtiger ist, darüber zu sprechen, dass Musik verbindet, dass es eine Sprache ist, die einen Austausch bringt. Aber ich glaube, in der heutigen Zeit gibt es in dieser Branche leider viele andere Dinge, die an erster Stelle stehen. Wir haben den Weg gewählt, einen kleinen Teil unserer gemeinsamen Geschichte zu zeigen, dass es etwas sehr Menschliches ist, was wir erfahren, besonders mit dieser Musik (von Rautavaara), die auch so tief menschlich ist, mit allen Facetten der musikalischen Sprache. Es ist wichtig zu zeigen, dass es Menschen sind, die sie spielen.

Der Prozess des gemeinsamen Musizierens und die Sprache der Musik hat Tanja und mich viel enger zusammengeführt, als es in einer normalen Freundschaft möglich wäre. Es ist sozusagen unmöglich, sich noch näher zu sein, als wir es uns sind und ich denke, das ist auch der Musik zu verdanken, die wir in all den Jahren miteinander geteilt haben. Und das bleibt natürlich weiterhin erhalten.

Tanja: Natürlich spiele ich auch weiter Konzerte mit Klavier und selbstverständlich gibt es noch andere Pianisten… aber ich würde diese Werke noch nicht wieder aufs Programm setzen, weil wir immer noch denken, dass wir nicht wissen, was passieren wird. Es könnte auch sein, dass es weitergeht – ich kenne viele Musiker, die mit dieser Krankheit kämpfen, viel mehr, als man denkt, Holz- und Blechbläser und Pianisten … Die Zukunft ist nun etwas, das offen bleiben muss.

Sergei Rachmaninow Cellosonate g-Moll op. 19 III. Andante • Link zur Aufnahme

Gunilla: Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Perspektive. Wir leben so, dass wir vorausplanen, aber auch ständig in die Vergangenheit blicken. Wir schauen zurück und denken ›Oh, wenn ich dies oder jenes getan hätte…‹, besonders, weil wir wissen, dass Fokale Dystonie eine rätselhafte Erkrankung und immer noch mit etwas verbunden ist, über das das Reden nicht besonders schmeichelhaft ist … und es ist sehr frustrierend für jene, die darunter leiden.

Ich habe jetzt viel Zeit dafür, darüber nachzudenken. Auf gewisse Art und Weise ist es möglich, es auf den Stress zurückzuführen, der mit unserem Beruf einhergeht. Ich denke dann: Was wäre, wenn ich dies oder jenes getan hätte? Man versucht, Gründe zu finden: Was habe ich falsch gemacht? Warum ich? Und so weiter. Natürlich bringt das einen nirgendwohin. Es ist wirklich hart, ich kann gerade überhaupt nicht spielen. Wir identifizieren uns so sehr mit der Musik. Es ist kein Beruf, es ist ein Lifestyle und eine ganze Identität. Am Anfang scheint es beinahe unmöglich, sich nicht als Musiker zu verstehen. Das ist natürlich auch nachvollziehbar, wenn man so viel Lebenszeit mit einer Sache verbracht hat. Man muss ja nicht unbedingt spielen, um Musiker zu sein. Es setzt jetzt ein Prozess ein, in dem man realisiert, was man in erster Linie ist: Ein Mensch mit verschiedenen Stärken und Schwächen. Es kann also auch eine Art Geschenk sein, eine Chance, das Leben und die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Wenn man drin ist in diesem Musiker-Leben, dann sieht man es nur aus einer Perspektive heraus.

Tanja: Das ganze Konzept von Zeit in unserem Beruf ist sowieso etwas Schräges. Ich trage jetzt Konzerte in meinen Kalender ein für 2019 oder 2020. Es geht entweder um Zukunft oder Vergangenheit. Du bist gerade in einer Situation, wo es nur um dich im Jetzt geht und es ist vielleicht sehr schwierig, aber davon könnten wir, die wir noch spielen können, uns durchaus etwas abgucken. Wie dankbar wir sein können, dass wir spielen und konzertieren können. Vor dem Konzert sitzt man oft da und denkt: ›Oh, das ist jetzt anstrengend und ich bin so nervös oder angespannt.‹ Aber man sollte sich einfach klar machen: ›Wow, ich kann das jetzt spielen. Ich bin fit, meine Finger können ihre Aufgabe erfüllen und ich darf auf diese Bühne rausgehen.‹ Das ist für mich auch etwas, das sich verändert hat seit deiner Erkrankung.

Gunilla: Von denen, die Musik machen, denkt niemand darüber nach, wie fragil das ist. Wir planen, als ob das immer so bleiben würde, weil das eben ist, wie wir mit unserem Leben umgehen.

Tanja: Als wir am Ende der Aufnahmesession ein Konzert gegeben haben, waren wir ziemlich fertig, weil es ziemlich anstrengende und schwierige Musik für beide Parts ist. Und dann, ganz am Ende, wollten wir dieses wunderbare Lied spielen, das auch auf der CD ist, Sydämeni laulu, ›Lied meines Herzens‹, ein sehr bekanntes Lied in Finnland, jeder kennt das. Als wir anfangen wollten, bekam Gunilla einen Lachanfall. Es war wie ein endloses Lachen und jetzt, im Rückblick, glaube ich es hatte schon etwas … sie hätte genauso in Tränen ausbrechen können, weil wir irgendwie wussten, das irgendwas komplett falsch war. Es war ein Mix aus Enthusiasmus und Verzweiflung.

Freundschaft und der Verlust von Sprache – Gunilla Süssmann und Tanja Tetzlaff über das Leben im Duo und den Umgang mit Fokaler Dystonie in @vanmusik.

Gunilla: … und Resignation. Wir waren in jeder Hinsicht an Grenzen gestoßen. Der Prozess ist natürlich dramatisch, aber es ist trotzdem so fantastisch, dass wir jetzt sagen können: ›Guck, das (die CD) haben wir geschafft‹ und es ist Teil unserer gemeinsamen Reise.

Als mir nach der Diagnose in München die Frage gestellt wurde ›Haben Sie noch andere Interessen, Frau Süssmann?‹, da bin ich raus, strahlender Sonnenschein im Mai, alle waren gut drauf und ich lief mit dieser absolut surrealen Nachricht durch die Stadt und dachte: Ich habe gerade die größtmögliche zwischenmenschliche Verbindung verloren, nicht als Person, sondern das größte Geschenk einer zwischenmenschlichen Verbindung – das, was wir zusammen erschaffen haben. Mein größter Verlust war nicht das Gefühl von ›meine Karriere ist vorbei‹ oder ›meine Fähigkeit, mich auszudrücken, ist weg‹, sondern nicht mehr die Möglichkeit zu haben, etwas so Heiliges und Tiefgründiges zu teilen, das war irgendwie der größte Verlust für mich.

Dass Tanja immer noch meine beste Freundin ist, hat einen großen Anteil daran, dass ich damit umgehen kann. Und das bedeutet letztendlich, dass es um die Menschen geht. Menschen komponieren Musik, Menschen spielen sie und Menschen hören ihr zu – und wir müssen uns umeinander kümmern.

Tanja: Es ist schrecklich für Gunilla, aber irgendwo war auch ganz unglaublich egoistisch dieser Gedanke: ›Unser Duo ist gerade gestorben, zumindest scheintot …‹ Ganz egoistisch habe ich das gedacht und gefühlt – das Duo, in dem ich mich so sehr wiedergefunden habe. Und das wird nicht so einfach sein, das mit jemand anderem zu finden. Oder auch gar nicht möglich. ¶