Sonor durch Mark und Bein

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Ein Besuch bei der Klangmanufaktur in Hamburg

Text, Fotos und Titelbild · Datum 5.4.2017

Kerzengerade östlich von Hamburgs Mitte, praktisch im Gebrauchtwagenverkaufsödland zwischen Hammerbrook und Borgfelde – auf der gedachten Insel von Süd- und Mittelkanal – da erwartet man nicht unbedingt, in einen Hort der feinen Klangkunst einzudringen. In einem etwas verlassen wirkenden mehrstöckigen Firmengebäude steht im Eingangsbereich ein ebenso verlassener Flügel. Einfach so dahingestellt. Als Hinweisschild zur Klangmanufaktur. Hier restauriert man seit ein paar Monaten Steinway-Flügel aller Epochen – und bringt sie unters Volk…

Bei der Klangmanufaktur geht es um Inhalte.
Bei der Klangmanufaktur geht es um Inhalte.

Die Klangmanufaktur residiert in den ehemaligen Hallen des Spiegel-Archivs. Mehrere Werkstatträume, eine kleine Küche, ein Büro, ein kleiner, mit Baumstämmen naturhaft hergerichteter Konzertraum – und Räume für Unterricht und Proben. Aber vor allem: viel Lagerraum. Für Steinway-Flügel, die hier mikroskopisch genau saniert und feinabgestimmt werden.

Oliver Greinus mit einem Steinway B-Flügel
Oliver Greinus mit einem Steinway B-Flügel

Ich treffe Oliver Greinus, ehemaliger Leiter der Konstruktionsabteilung von Steinway & Sons. Jetzt macht er seit einigen Monaten sein eigenes Ding. Die Verwirklichung eines lang geträumten Traums, wie er selbst sagt. Sehr bald frage ich Greinus, ob die Klangmanufaktur für Steinway so etwas ist wie AMG für Mercedes. Er lacht – doch kommt im Laufe des Abends immer wieder auf diesen Vergleich zurück. An feschem und vor allem teurem Design sind er und seine Mitarbeiter allerdings nicht interessiert. Es geht vielmehr um die Möglichkeit, Musikern und Veranstaltern Flügel zur Verfügung zu stellen. Um die Genauigkeit in der Restaurierung und vielleicht so etwas wie Liebe zum Instrument.

Oliver Greinus und Pierre Hellermann über die Anfänge der Klangmanufaktur.
Schraubzwingen braucht der Flügelrestaurator von heute.
Schraubzwingen braucht der Flügelrestaurator von heute.
Die ›Sitzecke‹ der Klangmanufaktur
Die ›Sitzecke‹ der Klangmanufaktur

Ein weltfremder Träumer ist Greinus dabei nicht. Hinter dem Ganzen steckt folgendes Konzept: Die Klangmanufaktur restauriert Steinway-Flügel – und bietet außerdem beispielsweise (unfreiwilligen) Erben eines Flügels an, diesen in die Hände der Klangmanufaktur zu geben. Die Klangmanufaktur stellt Kontakte zu möglichen Interessenten her, verleiht die Instrumente dauerhaft – und die eigentlichen Besitzer profitieren von einer Rendite von vier Prozent, bleiben aber Eigentümer des Flügels. Anders als bei meisterhaften Streichinstrumenten, die im Wert steigen, bleiben Steinway-Flügel bei entsprechender Pflege langfristig »nur« wertstabil. Und eben dort kommt die Klangmanufaktur ins Spiel: Mit der hauseigenen Fachkompetenz garantiert man den Werterhalt, kümmert sich über die volle Laufzeit des Leasings um die Instrumente, von denen ohnehin keines die Werkstatt ohne eine Generalüberholung mit Feintuning verlässt.

Der Resonanzboden ist das Herz eines jeden Flügels.
Der Resonanzboden ist das Herz eines jeden Flügels.
Stillleben
Stillleben

In einem der Räume arbeiten zwei junge Männer. Einer der beiden, Doktorand am Institute of Systematic Musicology in Hamburg, hat sein Notebook auf einen der Flügel gestellt. Ein Auszubildender der Klangmanufaktur hält ein Messgerät in der Hand.

Oliver Greinus: Die beiden vermessen gerade alte Flügel und machen Oberton-Front-Duplex-Untersuchungen …

VAN: DAS KLINGT NERDIG UND KOMPLIZIERT!

(lacht) Aber hallo! Wir wollen wirklich auch die Wissenschaft hier mit einbeziehen, um einfach durch die ganzen Untersuchungen noch mehr Detailwissen über die Instrumente zu bekommen. Je mehr man versucht, ein Instrument wirklich zu verstehen, desto besser. Das ist aber oftmals ein langjähriger und mühseliger Weg.

Beim Gang durch die Klangmanufaktur spricht Oliver Greinus über das »Herz« eines Flügels.

Um ganz normale Klaviere kümmert ihr euch auch?

Ja. Unser Auszubildender beispielsweise beschäftigt sich derzeit mit Klavieren. Als Klavier- und Cembalobauer geht es in der Gesellenprüfung um Klaviere, also noch nicht sofort um große Flügel. Der Auszubildende hat mit einem Instrument von 1875 angefangen – und da war wirklich alles im Argen. Das Ganze musste er erst einmal völlig neu aufarbeiten. Aktuell bearbeitet er die Gussplatte des Instruments. Anschließend kann man das Klavier dann verkaufen. Es ist also überhaupt nicht so, dass man die Arbeit des Auszubildenden danach in die Tonne tritt.

Hammer-Arbeit
Hammer-Arbeit
Offene Flügel-Studie
Offene Flügel-Studie

Wir gehen weiter durch die Räumlichkeiten der Klangmanufaktur. Bald stehen wir wieder in dem größten Arbeitsraum, vor einem quasi ausgeweideten B-Flügel. Keine Tasten, keine Saiten, nur die Schale und der Boden sozusagen. Mit der Faust haut Greinus sanft auf den Resonanzboden. Das widerhallende Geräusch des Resonanzbodens ist dunkel, dumpf – aber voll und einheitlich. Greinus erklärt mir, dass man diesem Geräusch bereits ablauschen könne, ob der Gesamtklang später ebenso homogen klingt. Auf einem Zettel ist eine Skizze des Resonanzbodens zu sehen, versehen mit vielen Zahlen. Ausgelesene Messwerte der Dicke des Holzes. Daneben Schmirgelpapier. Ich habe Greinus bei der Mikromillimeter-Feinarbeit unterbrochen. Denn der später resultierende Klang der Saiten über dem Resonanzboden ist, so hat man herausgefunden, besonders gut, wenn das Holz an verschiedenen Stellen auch jeweils unterschiedliche Dicke-Gerade aufweist.

Greinus demonstriert den guten Klang eines bearbeiteten Steinway-Resonanzbodens.
Oliver Greinus tastet an
Oliver Greinus tastet an

MAN MUSS VIEL Geld auf den Tisch legen, UM HIER EIN KLAVIER ZU KAUFEN, ODER?

Eben nicht! Wir haben das Ganze von Anfang an so gedacht, dass wir Steinway-Flügel unters Volk bringen wollen. Nämlich dorthin, wo man sie braucht und wo auf ihnen musiziert wird. Und da kam der Vermietungsgedanke ins Spiel. Bei Steinway früher haben wir Flügel gebaut, von denen wir wussten: Das Instrument wird jetzt von wohlhabenden Leuten gekauft und steht dann als Statusobjekt in irgendeinem Salon praktisch unbenutzt herum. Perlen vor die Säue! Dann haben wir hier in der Restaurierung am Anfang überlegt: Ein gebrauchter aber gut restaurierter B-Flügel kostet jetzt nicht mehr 100.000 Euro, sondern nur noch 75.000 Euro. Aber selbst das ist für einen normalen Musiker ja noch völlig unerschwinglich. Dann haben wir zusammen mit einer Bank versucht, ein gutes Leasing-Konzept zu finden. Die haben zu uns gesagt: ›Okay, aber dann ein Leasing mit einer Mindestlaufzeit von sechs Jahren, mit einem kalkulierten Wertverlust von 50 Prozent, sonst verdienen wir nichts.‹ Das war für uns natürlich völlig uninteressant. Dann hättest du Leasing-Raten von mindestens 800 Euro monatlich. Das kann sich ja wieder kein Musiker leisten. Über diverse Zwischenschritte sind wir dann auf unser Wertanlage-Konzept gekommen, mit dem es möglich ist, zum Beispiel kleinere Steinway-Flügelmodelle schon für 150 Euro pro Monat zu mieten. Und da wird es für viele Musiker erst richtig attraktiv. Für dieses Konzept brauchten wir erst einmal gar keine Bank! Wir machen das selbst. Und die vier Prozent, die der eine an Zinsen bekommt, sind das, was der andere an Miete zahlt. Damit bist du einfach konkurrenzlos günstig. Und somit kannst du dir beispielsweise einen Steinway B-Flügel im Wert von ungefähr 75.000 Euro von uns für eine Netto-Monatsmiete von unter 300 Euro leisten.

Oliver Greinus über den Werterhalt von Flügeln.

Am Abend ist ein kleines Konzert mit ein bisschen Talk geplant. Geladen sind Vertreter und Kunden einer Privatbank aus Hamburg, mit denen man zukünftig kooperiert. Drei junge Pianist*innen spielen Werke von Thomas Adès, Claude Debussy, Ludwig van Beethoven, Fazıl Say und Maurice Ravel. Der Besitzer des Flügels, eigentlich Web-Designer, stellt sich vor und spricht über die Liebe zu seinem Instrument, das er als Laie gerne bespielt aber doch meistens ungenutzt lassen würde. Jetzt verleiht er das Instrument an eine kleine Konzertreihe irgendwo in Hessen.

Spax statt Spex
Spax statt Spex
Gute Arbeit will begutachtet werden
Gute Arbeit will begutachtet werden

Der Steinway vom Beginn des 20. Jahrhunderts, den die Leute von der Klangmanufaktur saniert haben, klingt hervorragend, nussig, elegant, aber kein wenig glattgebügelt. Vor allem der Nachklang ist beeindruckend, die Harmonie steht ganz plastisch im Raum, aber wird weder zur schwammigen Wolke noch zur klinisch sauberen Steinway-Fläche. Der Klang bleibt homogen und angenehm für das Ohr – und geht an den Fortissimo-Grenzen der Intensität trotzdem sonor durch Mark und Bein. ¶