Schwarm / Intelligenz 

10286785950-1456319251-86.jpg

Zwischen Außenseitertum und Gruppen-High – eine Unterhaltung mit fünf Musiker/innen aus der MCO Academy – dem Nomaden-Nachwuchs-Zentrum des Mahler Chamber Orchestra

Text und Porträtfotos · Titelfoto Sonja Werner · Datum 24.2.2016

Warum klingt ein Orchester, wie es klingt? Zum Beispiel: der transparente, heimatlos-europäische Sound des Mahler Chamber Orchestra. Im April 2015 machte sich Janina Rinck in VAN mit einem Bericht aus dem Inneren des Mahler Chamber Orchestra an die Beantwortung dieser Frage. Schon lange halten sie beim MCO den eigenen Ansatz und den daraus entstehenden Sound nicht für einen glücklichen Zufall. Nein, es gibt hier etwas ganz Spezielles, das man systematisch weitergeben will. Und das System heißt ›MCO Academy‹. Es ist für ausgewählte junge Musikstudent/innen aus Europa ein Baukasten aus Mentoring – jede/r Akademist/in hat sein ihn betreuendes Orchestermitglied –, internationalem Austausch und dem Orchesterprojekt. Letzteres fand heuer in Dortmund statt: Student/innen und gestandene Musiker/innen arbeiteten gemeinsam an einer Rhein-Ruhr-Tournee (Essen, Dortmund, Köln) mit Mahlers 2. Sinfonie unter der Leitung von Daniel Harding. Sie tauschten sich in Workshops aus, sprachen über Karriereplanung und diesen besonderen chamber music approach aus Kollaboration, Eigenverantwortung und Gleichberechtigung, der den Klang des MCO prägt. Bereits bei Janina wurde deutlich, dass die Musiker/innen des MCO meistens ausgesprochen gerne von ihren ›regulären‹ Engagements beim MCO zusammenkommen. Tobias Ruderer war in Köln, hat fünf junge Akademisten getroffen und festgestellt: für die ist es der reinste Rausch.

VAN: Sieht man einmal von der Tatsache eures Talents ab, warum glaubt ihr, wart ihr bisher so erfolgreich damit, ein Instrument zu spielen?

Joana Diaz: Ist für mich schwierig zu beantworten, ich glaube wirklich, es war mein Wille; ich bin in meiner Familie die einzige, die Musikerin ist oder versucht, es zu sein. Ich komme aus einem sehr kleinen Dorf in Portugal, da gibt es nicht so viel Kultur. Ich hatte Glück, dass ich Musik hören konnte, das hat mich wirklich beeindruckt. Später, als ich das Instrument gelernt habe und wirklich noch nicht wusste, ob ich gut genug bin, da war es die Unterstützung meiner Lehrer, die mich weitermachen ließ, noch bevor ich nach Lissabon zum Studium ging.

Ben Lovell Greene: Bei mir war das ziemlich ähnlich. In meiner Familie gibt es nicht viel Verständnis für Musik; ich wuchs in Kapstadt auf, mit acht zog meine Familie nach Melbourne. Meine Eltern haben die Musik unterstützt, aber eine lange Zeit eher als Hobby. Als ich damit weitermachen wollte, musste ich ihnen erst zeigen, dass ich es ernst meinte. Ich sparte für meine erste Posaune. Ich habe die Noten gekauft, für meinen Unterricht bezahlt und dann, nach ein paar Jahren, als ich auf eine Musikhochschule wollte, da waren sie dann einverstanden und haben mich auch unterstützt.

Lluis Casanova: Bei mir in der Familie hat Musik einen etwas größeren Stellenwert, aber der einzige professionelle Musiker bin ich. Trotzdem, da war die Unterstützung von Anfang an da.

Laura Custodio: Bei mir sind beide Elternteile Musiker/innen, das hilft schon ziemlich. Ich hatte mit fünf meine ersten Geigenstunden. Ich hatte bis 15 den gleichen Geigenlehrer, er ist wirklich fast zu einem Familienmitglied geworden. Und er bestand darauf, dass ich von Barcelona nach London ging. Ich hatte Angst davor, aber er hat das wirklich gepusht. Das war ein wichtiger Schritt.

Ben Newton • Bratsche, aus Manchester (RNCM - Royal National College of Music) 
Ben Newton • Bratsche, aus Manchester (RNCM – Royal National College of Music) 

Ben Newton: Meine Eltern sind zwar keine Musiker/innen, aber sie lieben Musik sehr – meine Mutter wollte ein Zeit lang Orchestermusikerin werden, aber sie hat das richtige Instrument nicht gefunden. Deswegen gab es immer Musik um mich herum und die Ermutigung, Musik zu machen. Mit 5 habe ich mit Klavier angefangen; mit 9 oder 10 mit der Geige, mit 13, 14 dann Bratsche … irgendwann habe ich dann im Jugendorchester gespielt.

Lluís: Ich glaube, in einem Jugendorchester zu spielen, ist wahnsinnig wichtig. Als ich das erst mal beim JUNC (Jove Orquestra Nacional de Catalunya) gespielt habe, das war ein Aha-Moment. Plötzlich waren da viele Leute, die das Gleiche wollten, viele Leute, die wirklich gut waren an ihrem Instrument, mit denen spielt man dann zusammen und staunt und freut sich.

Fühlt man sich vorher eher als Außenseiter, in der Schule, unter Gleichaltrigen?

Alle: Ja.

Ben N.: Ziemlich lange Zeit, eigentlich bis man in Kontakt kommt mit einem Jugendorchester.

Ben L.: Man ist immer der Typ, der mit dem Instrument rumläuft, und nicht viele andere hören klassische Musik. Das ging bei mir bis zur Musikhochschule so. Dort war es plötzlich, wie in eine große Familie zu kommen. Plötzlich üben alle.

Joana: Bei mir war das schon in der Schule so, ich war auf einem sehr neuen, kleinen Musik-Gymnasium und habe so schon meine Teenagerzeit irgendwie  unter Kollegen verbracht.

Und wenn ihr jetzt auf Leute eures Alters schaut, die keine Musiker sind – beobachtet ihr da eine andere Weltsicht, auch was die großen Themen angeht?

Die meisten murmelnd: Ja.

Laura: Ja, wir haben ein anderes Leben, wir haben auch einen anderen Blick auf das Leben.

Wann macht sich das bemerkbar?

Laura: Ich habe nicht so viele Freunde, die keine Musiker sind. Das sind vor allem die zu Hause, in Spanien. Wenn ich alle drei Monate von London nach Hause komme und wir uns wieder auf den neuesten Stand bringen, dann ist es irgendwie schwierig. Das geht schon damit los, dass sie nicht verstehen, wie wir zu unseren Studienergebnissen kommen, aber auch, wie wir so durchs Leben gehen, worum es uns geht. Wir versuchen in Kontakt zu bleiben, aber es sind andere Welten.

Joana Costa Diaz • Geige, aus Portugal (Orchesterzentrum NRW Dortmund)
Joana Costa Diaz • Geige, aus Portugal (Orchesterzentrum NRW Dortmund)

Joana: Es ist ein ganz anderes Studium. Leute, die nicht Musiker sind, die haben Ferien. Wir Musiker haben nie so richtig frei, stattdessen versuchen wir hier einen Kurs und da einen Kurs zu machen. Die Ferien sind die Zeit, in der wir uns am meisten verbessern können.

Ben L.: Was die Lebensphilosophie betrifft, die großen Themen: Je mehr wir uns in die Musik vertiefen, desto stärker ändert sich die Weltsicht – ich glaube, da ist viel dran. (einige: ›Ja.‹) … ich mag zum Beispiel german Lieder und spiele sie sogar auf meiner Bassposaune – was einem Sänger vielleicht nicht gefallen würde –  und dazu gehört auch, zu lesen, zu verstehen, eine emotionale Verbindung dazu zu knüpfen. Manchmal kann man auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, aber man wird emotionaler mit dem Lesen. Man beschäftigt sich mit dem Leben, dem Tod …

Joana: … der große Unterschied, den ich sehe, auch zum Beispiel bei meinen Geschwistern, die keine Musiker sind: Viele studieren, weil sie ein Ziel, ein Ende des Studierens im Blick haben: Man kommt durch die Prüfungen und hat einen Job. Bei der Musik geht es darum, ein Künstler zu werden, ein tieferes Verstehen zu erlangen. Und da gibt es kein Ziel, außer: Leben, Lernen, Erfahrungen sammeln, reifer werden. Bis wir alt sind, solange wir spielen können.

Ben L.: Es bringt einen dazu, mehr über sich selbst nachzudenken, wie man sich sieht. Weil alles, was man als Musiker hervorbringt, ein Produkt von einem selbst ist, zumindest stark beeinflusst wird, von der eigenen Weltsicht. Also beginnt man, sich zu fragen, wer man ist, wer man sein will.

VAN: Wie real ist für Euch die Möglichkeit, dass sich das abnutzt? Dass man einen Job in einem Orchester bekommt und genau dieser Aspekt – ein Job – irgendwann überwiegt?  

Ben L.: Ich habe da nicht wirklich Sorge. Der Tag, an dem ich einen richtigen Job bekomme, bedeutet für mich vor allem, dass ich finanziell in der Lage dazu bin, all die anderen musikalischen Dinge zu machen, die ich tun will.

Ben Lovell Greene • Posaune, aus Melbourne (ANAM - Australian National Academy of Music) 
Ben Lovell Greene • Posaune, aus Melbourne (ANAM – Australian National Academy of Music) 

Ben N.: Ich glaube, das Musik machen ist auch eine Art Therapie … (einige: ›Ja.‹) … für viele von uns. Klar, man könnte es nur noch als Job sehen, und viele Leute, die das seit 30 Jahren machen, die tauchen halt irgendwo auf, spielen, fertig. Es gibt aber auch diejenigen, die seit 30, 40 Jahren dabei sind und jeden Moment lieben. Und das hat für mich damit zu tun, dass die Arbeit therapeutische Effekte hat. Das war auch interessant an dieser Woche hier: Man trifft diese ganzen Musiker, die Jobs in vielen Orchestern und Ensembles auf der ganzen Welt haben. Aber alle sagen ohne Zögern, dass das hier der wichtigste für sie ist. Weil es hier diese große Bandbreite gibt und das Zusammenkommen eine ganz besondere Atmosphäre schafft.  Viele haben das in ihren regulären Anstellungen nicht.

Laura: Was mir aber tatsächlich manchmal Sorge bereitet, ist, dass ich beeinflusst werden könnte von den Leuten um mich herum. Ich habe letztes Jahr eine Erfahrung gemacht: Ich spielte ein Jahr lang in einem Orchester, einem wirklich tollen Orchester. Und ich war so aufgeregt am Anfang, jeden Tag eine Stunde früher da, meine Finger aufgewärmt, die Griffe geübt, ich wollte jeden kennenlernen. Aber dann habe ich im Orchester ein paar Leute beobachtet, die manchmal einfach keine Lust hatten, zu spielen. Es war schwer, sich davon nicht beeinflussen zu lassen und sich auf die Guten zu konzentrieren.

VAN: Beobachtet ihr da auch Unterschiede zu Mitstudenten, denen dieses MCO-Academy-Perspektive fehlt?

Laura: Oh ja. Was man hier sieht, ist, dass die Leute je besser sie werden, desto mehr Spaß haben. Sie wissen wirklich, was sie tun und genießen es, während sie es tun. Ich will auch so sein. Und das ist für diese ganze Studienszene so wichtig, dass man von Leuten umgeben ist, die besser sind als man selbst, allein für die Motivation. Ich glaube, dass Leuten, die so etwas wie hier nie aus einer Innenperspektive beobachten konnten, dieses Rollenmodell fehlt. Klar, im Publikum bekommt man die Energie und das alles mit, aber ein Orchester ist so viel mehr als das Konzert, wenn man behind the scenes schauen darf. Du kannst dich einfach hinsetzen und beobachten und bekommst so viel Information. Du hast automatisch zwölf Kurse am Tag, ohne dass irgendetwas gesagt werden muss.

Lluís: Sie behandeln uns Akademisten wirklich als wichtige Teile des Orchesters. Klar, ich muss gut spielen und als zweite Klarinette der ersten folgen, aber ich bin so wichtig für dieses Orchester wie für mein Heimatorchester; gleichzeitig muss ich aber dem ganzen Orchester zuhören, nicht nur meiner Gruppe, sondern bei einer bestimmten Stelle vielleicht besonders auf die Celli. Die Proben sind wie musikalische Wellen. Und man denkt ständig ›Oh yeah. Ach so‹, auch wenn man gar nicht spielt.

VAN: Ein paar von Euch sind schon zum zweiten Mal hier. Was fängt man mit dieser Erfahrung nach der Woche an?

Laura: Um ehrlich zu sein – ich war ziemlich besessen, etwa drei Monate lang, von dem Gedanken, in 10 Jahren hier zu spielen. Aber wenn man dann darüber nachdenkt, wie viele andere Leute das auch wollen, dann kann das deprimierend sein.

Lluís: Ich auch. Ich habe mir immer gesagt, ich gründe ein Kammerensemble, und dann spiele ich noch im MCO.  

Joana: So hoch hinaus habe ich irgendwie nicht geträumt. Ich habe nach dem ersten Mal, das war aber schon vor drei Jahren, einfach versucht, alle Informationen, die ich aufgenommen hatte, zu sammeln und sie irgendwie umzusetzen. Ich habe auch eine Gruppe gegründet, die gibt es immer noch. Ich war ziemlich überrascht, dass ich noch mal aufgenommen wurde. Jetzt ist es wie eine Droge, man ist ständig drauf, und ich werde nach dieser Woche wieder auf kaltem Entzug sein.

Ben N.: Ich war vorher nie als Musiker in Kontinentaleuropa, um richtig zu spielen. Ja, ich würde auch gerne zum MCO zurückkommen, aber jetzt könnte ich mir auch vorstellen, in Deutschland oder anderswo in Europa zu spielen.

VAN: Wie sieht eine Idealvorstellung von eurer Zukunft aus, wenn ihr sie euch Stück für Stück zusammenbauen könntet?

Ben N.: Auf jeden Fall ein Mix aus verschiedenen Sachen. Nicht nur Mitglied eines  Sinfonieorchesters für den Rest des Lebens zu sein, so wunderbar ich es fände, in einem Sinfonieorchester zu spielen, aber ich würde auch gerne in einem Kammerorchester spielen.

Ben L.: Ja!

Ben N.: … ich will irgendwann auch unterrichten und vielleicht mit einer kleineren Gruppe von Leuten zusammenspielen. Auf jeden Fall brauche ich diese Variation.

Laura: Ich habe noch keine genaue Vorstellung. Hauptsache: reisen durch die Musik, sei es Kammer-, Sinfonieorchester, Unterrichten, was auch immer, je gemischter, desto besser.

Laura: Ich finde es ist wahnsinnig toll, dass wir als Musikerinnen einen Grund zu reisen haben und beim Reisen Musik zu machen, das ist perfekt.

Lluís Casanova • Klarinette, aus Barcelona (JONC - Jove Orquestra Nacional de Catalunya) 
Lluís Casanova • Klarinette, aus Barcelona (JONC – Jove Orquestra Nacional de Catalunya) 

Lluís: Ja, so was wie eine Musik-Heimat und dann noch etwas, wo man einfach Spaß mit Kollegen hat, beim MCO oder irgendeinem anderen dieser Orchester: Chamber Orchestra of Europe, Les Dissonances …

Joana: Ich glaube, große Orchestermusiker tun viele verschiedene Dinge, sie sind sehr komplette Menschen, manche studieren sogar noch etwas anderes als Musik. Und ich will das auch für mich, mich so umfassend wie möglich entwickeln. Es geht auch darum, was wir anderen Leuten geben können, da geht es nicht nur darum, was wir spielen können, sondern auch darum, was das Publikum überhaupt empfangen kann.

Ben L.: Einer der besten Lehrer, die ich je hatte, sagte immer: Wenn du ein guter Musiker, er meinte nicht nur: ein guter Posaunist, werden willst, dann geh in die Museen, in die Kunstgalerien, in Theater, lies Bücher, weil diese Dinge dich informieren, mit und über Musik. Ansonsten sehe ich das wie die anderen, ich will einen Mix aus verschiedenen Tätigkeiten haben.

Keiner von euch will ein Solist, eine große Solistin werden?

Joana: Nein, das ist überhaupt nicht mein Ding.

Ben L.: Wir machen schon viel Rezitale in Australien, das ist im Programm meiner Schule drin. Ich mag das, aber mich reizt es viel mehr, mit anderen Leuten zu spielen.

Lluís: Ich glaube, wenn manche von uns die Gelegenheit bekommen, als Solist zu spielen, dann werden wir das auch annehmen, aber es ist nicht das Hauptziel. Ich spiele lieber Kammermusik oder im Orchester. Klar, wenn die Frage kommt, willst du mit unserem Orchester das Mozart-Klarinettenkonzert spielen, dann macht man das.

Laura: Ja, als Erfahrung, oder? Man sollte sich Erfahrungen nicht verweigern.

Joana: Es ist ein anderes Level, es gibt wahnsinnig viele gute Solisten und ich habe gerne die Nähe zu anderen Leuten beim Zusammenspielen. Ich stelle mir das irgendwie sehr einsam vor, das Leben einer Solistin. Kürzlich bin ich Julia Fischer auf der Straße über den Weg gelaufen, und sie lief da mit ihrer kleinen Geige, ihrem kleinen Köfferchen, so ganz allein … ich wette, es macht ihr richtig viel Spaß mit ihrem Ehemann zu spielen, irgendein Doppelkonzert, dann spielt sie mit jemandem, den sie liebt.

VAN: Joana, du sagtest gerade, es ginge auch darum, was das Publikum bereit ist, aufzunehmen. Was würdet ihr gerne am klassischen Konzert ändern? Die Frage wird ja seit längerem diskutiert …

Lluís: Wir müssen es ändern. Geh zu irgendeinem klassischen Konzert, die Leute sind im Schnitt 65, oder? Die jüngeren wollen einfach nicht ins Konzert …

Ben L.: Es ist ein Problem, international. Viele Orchester in Australien machen jetzt mehr Filmmusik; bei den Konzerten gibt es dann im Hintergrund Standbilder aus den Filmen, so was. Aber es gibt ein paar Dinge, die man ändern könnte. Jedes Mal, wenn ich ein Konzert gebe, höre ich von meiner Schule, dass ich schwarz tragen soll, außerdem eine Krawatte und so weiter. Und jedes Mal tauche ich in Jeans und T-Shirt auf. Für mich gehört das dazu, eine Verbindung herzustellen und keine Barriere zwischen mir und dem Publikum aufzubauen. Oder: Ich schreibe zum Beispiel nicht gerne Programmtexte. Ich spreche lieber mit dem Publikum, obwohl es mir wirklich richtig schwerfällt. Aber ist einfach besser fürs Publikum, sie lernen dich kennen, sie hören, worum es dir geht. Und sie haben das Gefühl, dass sie sich beim Sitzen etwas entspannen und einfach Spaß haben können. Von mir aus könnten die Leute auch buhen, wenn ihnen etwas nicht gefällt; ich empfinde das Publikum fast als zu höflich, wir spielen ja immerhin für sie.

Joana: Ich weiß nicht, wir können das Repertoire nicht ändern. Es ist zu großartig. Aber ich glaube, viele verstehen so eine (Mahlers 2.) Sinfonie nicht. Meine Mutter würde darin bestimmt viele schöne Momente finden, sogar weinen, aber ihr Kommentar wäre: ›Es ist wirklich lang!‹ Also irgendwie müssen wir der neue Generation etwas mehr Kultur bringen.

Laura Custodio • Violine, aus Barcelona (JONC) 
Laura Custodio • Violine, aus Barcelona (JONC) 

Laura: Ich glaube, das muss an den Schulen passieren, da sollte ein viel größerer Wert darauf gelegt werden. Gibt es nicht diese ganzen Untersuchungen, bei denen man herausgefunden hat, was Schüler alles für Fähigkeiten entwickeln, wenn sie sich mit klassischer Musik beschäftigen. Wir sind keine Sklaven der Gesellschaft, die genau das spielen müssen, was die Leute verstehen.

Joana: Ben, was du über das Sprechen gesagt hast – ich bin ja hier am Orchesterzentrum (NRW, d. Red.) Und jedes Mal, wenn wir Kammerkonzerte geben, dann müssen wir zum Publikum sprechen; das ist echt hart, ich muss es auf deutsch machen, was ich natürlich nicht so gut kann wie portugiesisch. Aber ich nähere mich dadurch den Leuten, ich sehe, ob sie lächeln, und sei es nur wegen meines lustigen Akzents. Ich spreche über das Stück, wie wir es vorbereitet haben, warum ich es mag, warum ich genau mit diesen Kollegen spiele … nicht zu viel Information, nur ein bisschen. Und darüber entsteht eine Verbindung zu Menschen, die eher zufällig zum Konzert kommen, das ist vielleicht ein kleiner Schritt, der vielleicht in 20 Jahren eine Wirkung zeigt.

Ben N.: Connection, Verbindung – das ist die ideale Situation für jeden auftretenden Künstler; vielleicht ist es dabei sogar egal, was wir spielen. Auch, ob die Leute im Frack oder in Jeans kommen, oder ob das Konzert im Dunkeln stattfindet. Das wichtigste ist, dass es diese Verbindung gibt, dass irgendwas passiert. Das sind für mich die besten Konzerte: wenn es für einige Momente das Gefühl gibt, dass jeder im Raum zuhört, das ist elektrisch, das ist das Beste.

Laura: … und das hängt ja auch davon, wie du spielst, ein banales Beispiel: Wenn ich weiß, dass Freunde im Konzertsaal sind, dann ändert das sehr viel, weil ich spüre, dass sie mir mehr entgegenbringen.

Lluís: Mir ist das bei Kammerkonzerten total wichtig, dass die Leute nicht zum Konzert gehen und das Gefühl haben: ›wir hören ihm und seiner Musik zu.‹ Nein, wir teilen einen gemeinsamen Moment. ¶