Erst mal Kabel stecken

scale2048x1-1479293916-45.jpg

Der elektronische Musiker und Labelgründer über die ersten Kindergarteninstrumente, Quellen der Ungewissheit und den Unterschied zwischen einer Schalttafel und einem Sinfonieorchester.

Text · Datum 9.12.2015

Frank Bretschneiders Musik hat, unter seinem eigenen Namen oder als ›Komet‹ veröffentlicht, verschiedene Gestalten angenommen, Ambient, Minimal Techno, Clicks & Cuts, Electronica, manchmal strenger, manchmal betont spielerisch-kindlich, zerfasert oder voll auf die Zwölf. Als er 1999 sein Label Rastermusic mit Carsten Nicolais noton. archiv für ton und nichtton zu Raster-Noton verschmolz, war ein weiteres Zentrum einer Kultur geboren, die alles war außer Pop, aber doch aus den experimentellen Rändern der Popkultur erwuchs – Bretschneider hatte in der DDR so etwas wie eine Avantgarde-Dada-Punk-Band – und nicht aus der akademisch-institutionalisierten Zeitgenössischen Musik. Trotzdem gab es hier in der Kommunikation keinen Pop-Glanz, keine Gesichter, keine Stars und keine Melodien. Dafür Rauschen, Klicken, Fehlergeräusche, seltsam vibrierende Monotonie, strenge Gestaltung, sachliche Titel. Und den Sprung in die postmoderne Kulturtheorie: Mille Plateaux, ein anderes Label der Szene, ist nach einem Buch von Deleuze/Guattari benannt. Der Philosoph Christoph Cox prägte für die Musik, die bei diesen Labels erschien, das Bild vom organlosen Körper, weil die Hierarchie zwischen Melodie und Begleitung, Haupt- und Seitenthema genauso wegfällt, wie der Unterschied zwischen Form und Ausdruck oder der zwischen Tanzen und nicht Tanzen. Eine Musik ohne Geschichte, Autor-Interpret, ohne Anfang, ohne Mitte, ohne Ende. Die  ihren Weg in die Galerien und Museen fand, in die Theater und auch immer öfter in die Konzertsäle. Nennen wir es ›e-Phil‹ dachte man also bei der Elbphilharmonie, die eine Veranstaltungsreihe im Resonanzraum für diese elektronische Avantgarde ins Leben gerufen hat, die man trotzdem populär nennen kann, weil es immer die Verbindung zu den Clubs, zum Feiern gab.

Sinn + Form, dein neues Album, ist weniger groovy und weniger atmosphärisch als viele andere Sachen von dir.

Es ist ja fast rhythmuslos, es gibt keine Perkussion. So etwas habe ich eigentlich bis dahin noch nie gemacht, das war ein völlig anderer Ansatz, der verschiedene Dinge zusammenbringen sollte, die mich zu dem Zeitpunkt stark interessiert haben: zum einen Improvisation. Zum anderen Elektronik – nicht als Computerelektronik sondern analog, also nicht mit Keyboard, sondern über Patches, und mechanische Bewegungen gesteuert. Bei dem analogen Buchla und dem Serge-System im EMS-Studio (in Stockholm, wo die Aufnahme entstanden ist). Um da einen Sound rauszukriegen, musst du erst mal Kabel stecken. Also du musst eine Oszillator mit der Hüllkurve und mit einem Filter oder Sequenzer verbinden.

Buchla 266e Source of Uncertainty
Buchla 266e Source of Uncertainty

Und dieses Element des Zufalls kommt auch aus dem Synthesizer?

Ja! Ganz stark. Beim Buchla gibt es ein Modul, Source of Uncertainty, mit dem kann man Zufall erzeugen und steuern. Das kannst du als Clock für den Sequencer (der Elemente in eine Folge oder einen Takt bringt, d. Red.) oder als Modulator für Filter (die Frequenzen aus der Klangfarbe herausnehmen und dadurch den Klang verändern, d. Red) oder zur Steuerung von Lautstärken, also: zur Modulation fast aller modularen Parameter nehmen, die werden damit moduliert.

Dieses Chaos ist der eine Bestandteil, der andere ist es, hier wieder über Regler einzugreifen und das in eine Form zu bringen, von Hand Strukturen zu schaffen.

Und das Publikum kann diese Strukturen nachvollziehen? Man bestaunt das dann gemeinsam?

Das ist dann halt die Frage, ob das Publikum mitgeht. Das kann schon alles relativ wild sein. Das ist ja überall so: Mit einer gewissen Hörerfahrung hört man bestimmte Dinge. Wenn man es das erste Mal hört, dann findet man es sehr abenteuerlich und meist junge Leute sind dann sehr begeistert. Ältere Leute brauchen eher diese Hörerfahrung, um da mitzugehen. Sonst empfinden Sie das halt als Noise. Die Frage, wie weit man gewillt ist, mitzugehen, ich sehe da Parallelen zum Free Jazz, da kann man sich auch reinhören. Und dann entdeckt man schon tolle, nachvollziehbare Strukturen, spannende Auflösungen. Und genau das habe ich versucht, auch in dieser Musik zu machen.

Ist das ein ernsthafterer Ansatz als frühere Sachen? Tauchst Du deswegen nun im klassischen Kontext auf, für den die Elbphilharmonie ja doch steht und an den die Reihe ›e-phil‹ anknüpft, wenn sie diese seltsame Ahnenlinie über Kraftwerk und Detroit-Techno genau bei Stockhausen und Boulez beginnen lässt?

Na ja, ich weiß gar nicht genau, wie die auf Pierce Warnecke (der die Visuals macht, d. Red.) und mich gekommen sind. Es gab natürlich unsere Auftritte beim Club Transmediale und im Haus der Kulturen der Welt, vielleicht hat das dort jemand gesehen.

Sinn und Form live, Preview

Die Platte ist schon ganz bewusst, auch was den Titel angeht, etwas abseits von der Elektronik-Szene vor allem hier in Berlin, die sehr stark auf Rhythmus ausgerichtet ist. Das kann eben auch mal langweilig werden, wenn es sich so häuft, wenn viele Sachen gleich klingen. Und dann ist meine Reaktion eben, rauszugehen und zu versuchen, was anderes zu machen.

Auch meine frühen Platten waren sehr ernsthafte Versuche, Musik zu machen. Vielleicht gehe ich auch wieder zurück zum Rhythmus, zum Beat, aber dann eben in anderer Form. Ich will zeitgenössische Musik nicht gegen Club-Elektronik aufwiegen, vielleicht würde ich es so sagen: Letztere ist etwas oberflächlicher, erstere versucht mehr Tiefe zu kriegen. Und das interessiert mich schon eher.

Etwas älteres, Curve von 2001

Du arbeitest die meiste Zeit deines Musiklebens allein an den Maschinen, kommt da manchmal das Gefühl auf, einen Partner zu haben, eine andere Art von Intelligenz?

Da habe ich ehrlich gesagt, noch nie drüber nachgedacht. Also jetzt bei den ganzen Random-Sachen, deren Output man ja nicht geplant hat, das könnte unter Umständen schon eine Kommunikation sein. Inwieweit die stattfindet, kann ich nicht sagen, ich sehe das persönlich eher als Werkzeug und wähle das auch gezielt aus, ich habe gar nicht so einen großen ›Maschinenpark‹, viele Sachen benutze ich auch schon sehr lange, die kenne ich einfach.

Macht es dann überhaupt einen Unterschied, ob du im Studio stehst oder die Sachen live aufführst, oder wenn ja: Besteht der Unterschied nur in der visuellen Begleitung?

Nein! Das ist schon eine ganz andere Situation: Man hat ja direkt ein Gegenüber im Publikum – auch wenn man von dem etwas isoliert ist und nicht alles mitkriegt. Dann die Aufregung vorher, da gibt es so viele Einflüsse – auch wie man auf die Bühne kommt, wie der erste Sound klingt, die Soundanlage ist in Konzerten sehr viel lauter als im Studio, diese ganze physische Präsenz des Klangs, die man zuhause nicht hat.

Es ist schon schwierig bei Musik, die so ohne Pause durchläuft, weil man das Feedback dann erst ganz am Schluss mitkriegt. Aber vieles spürt man auch: wenn es gut läuft, wenn man sich wohlfühlt, das überträgt gegenseitig zwischen Publikum und mir. Allerdings auch andersherum, wenn es gar nicht läuft (lacht).

Und der Gedanke, so wie Mouse On Mars oder die Postrock-Bands auch akustische Instrumente mit auf der Bühne zu integrieren, der kam dir nie?

Ich habe ja mal Gitarre gespielt, in den 1980ern, mit meiner Band AG Geige. Ich war zwar immer großer Fan von Elektronik, aber zu der Zeit in der DDR gab es halt nüscht in der Richtung. Und deswegen habe ich das emuliert: Ich hatte eine akustische Gitarre, habe mir Second Hand eine elektrische gekauft. Aus dem Kindergarten, wo ich Hausmeister war, nahm ich immer die Kinderinstrumente, Xylofon, Tamburin mit nach Hause. Dann habe ich mit Mikrofon und Tonbandmaschinen manipuliert, mit drei Tonköpfen auch Tape-Echo-Effekte erzeugt. Ich wollte es elektronisch klingen lassen. Deswegen hat sich das mit dem akustischen Instrumenten durch den ersten Synthesizer dann schnell erledigt.

Hat es mit der veränderten Distribution von Musik zu tun, dass man sich als recording artist in der elektronischen Musik andere Kontexte sucht? Bei dir ist das ja auch immer öfter der Kunst- und jetzt der E-Musik-Kontext.

Nein, ich glaube, so etwas kommt mit dem Alter … man sucht sich ja auch immer Dinge, die man ganz alleine entdecken kann, die nicht jeder kennt. Das geht zumindest mir so, auch beim Lesen, der Literatur, die ich mir suche.

Klar, die Platteneinahmen sind nicht mehr so toll, aber das heißt nur, dass ich eben mein Geld mit live Spielen verdiene. Bei diesen Streaming und Download-Geschichten kriegt man auf keinen Fall jemals den Gegenwert zu dem, was man reingesteckt hat, egal, ob das jetzt iTunes oder Beatport ist. Und wenn mein erstes auf Mille Plateaux erschienenes Album 27.000 Mal bei Youtube gehört wird, sehe ich überhaupt nichts davon. Wir haben beim Label (Raster-Noton, d. Red.) und generell in dieser Klasse, in der wir arbeiten, überhaupt nicht die Ressourcen, da jemanden beauftragen, der solche Sachen verfolgt, wenn das jemand einfach so ins Netz stellt.

… und doch steht doch euer Label für eine bestimmte Art der Gestaltung, der Ansprache. Gibt es da auch langjährige Begleiter, denen das wichtig ist und die dafür Geld ausgeben?

Klar, das schon, auch dieser Art der Verpackung, die macht es schon zum Sammlerobjekt. Es wird verkauft klar, aber eben überhaupt nicht mehr in der Dimension wie Anfang der Neunziger.

Hättest Du mal Lust, die Patchkabel und Schalttafeln gegen Partitur und Orchester zu tauschen? Verstehen, wie so eine Sinfonie funktioniert und die dann zu interpretieren, zusammenzubauen?

Das Problem ist, dass man da mit einer großen Gruppe von Menschen zusammenarbeiten muss. Und ich bin … ich brauch sehr lange Zeit, grundsätzlich, um Leute kennenzulernen, warm zu werden und Vertrauen zu entwickeln. Das ist meine Natur, das war schon immer so, und deswegen arbeite ich auch alleine. Und ich wüsste gar nicht, wie ich mit so einer gigantischen Gruppe von Menschen umgehen sollte. Ich bräuchte da fünf Jahre, um Vertrauen in jeden Einzelnen zu gewinnen, zu lernen was er oder sie macht. Und Dirigieren, der Chef zu sein, das kann ich mir auch nicht vorstellen. ¶