Copy und Geist

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Bachs 4. Brandenburgisches Konzert im Interpretationsvergleich.

Text · Titelbild René Descartes (PUBLIC DOMAIN) · Datum 13.1.2021

Vor fast genau 300 Jahren – am 24. März 1721 – setzte es was. Beziehungsweise: ER! Und zwar Johann Sebastian Bach den Titel »Six Concerts | Avec plusieurs Instruments. | Dediées | A Son Altesse Royalle | Monseigneur | CRETIEN Louis. | Marggraf de Brandenbourg &c: &c: &c: | par | Son tres-humble & tres obeissant Serviteur | Jean Sebastien Bach, | Maitre de Chapelle de S. A. S. le | Prince regnant d’Anhalt-Coethen.« über eine Sammlung von sechs Konzerten. Sechs spätbarocke Influencer mit etwas unterschiedlichen Besetzungen.

Die Widmung galt dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt (1677–1734), wobei nicht alle Stücke extra zum Anlass dieser Zueignung komponiert worden waren; Bach bediente sich teilweise früherer Werke oder Werkteile: eine lange Zeit völlig übliche Praxis, die im »Barock« nicht mit entsprechenden, vom dunklen 19. Genie-Jahrhundert ge- und überzeichneten Abwertungen hinsichtlich der ästhetischen Qualität einherging. Musikalische Parts aus Vorangegangenem zu verwenden (in Instrumentation, Lage, Tonart und in diversen Details vielleicht zu verändern): ein rational-ordnender Akt ohne Gefühl; Entschuldigung, ohne Gefühl eines »Verlusts« (dafür: Zeitgewinn; bedenken wir: Die Menschen damals hatten wahrscheinlich durchgehend Zahnschmerzen). Komponieren heißt: rational, klaren Kopfes sein, organisieren. Komponieren heißt: Alltag und Struktur; nirgendwo sonst in der Kunst gibt es so wenige Suizide wie unter Komponierenden. Strukturen formen den Geist. Und gelegentliches »copy and paste« gehört dazu. Copy und Geist.

Dass gute Musik bestenfalls aus einem überweltlich-genialen Hirn eines Mannes entspringt, dessen Herz hoffentlich noch just vor Niederschrift göttlichster Melodeyen mit übelsten Schicksalsschlägen ringen musste: Derartige Bilder lieferten zwar das Wasser für die Druckmühlen pathetischer Musikschriftsteller der Romantik, doch löschen wir derartige Vorbehalte aus unserem Hirn. Und gehen nach Berlin. Am 29. Dezember 1718 wurde hier nämlich die Feuersozietät gegründet – die zweitälteste Versicherungskompagnie Deutschlands, ins Leben gerufen auf Initiative von Preußenkönig Friedrich Wilhelm I.. (Danke.) Friedrich I. war nicht der größte Musik-Freund und -Kenner; sein später regierender/komponierender/flötender Sohn – Friedrich II. – wurde dagegen zum einflussreichsten Musikförderer überhaupt in deutschsprachigen Landen. Und seinem ebenfalls äußerst musisch begeisterten Onkel – Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt – erlaubte Friedrich I., im Berliner Stadtschloss eine eigene Kapelle – sprich: ein eigenes Orchester – zu beherbergen.

In eben jenem Winter, zum Feuersozietätsgründungs-Jahreswechsel 1718/1719 hielt sich Johann Sebastian Bach in Berlin auf. Hier soll er – laut seriösester Quellen – auf Einladung von Markgraf Christian Ludwig für diesen musiziert haben. Markgraf Brandenburg muss begeistert gewesen sein; jedenfalls überzeugte er Bach – vielleicht ganz enthusiasmiert noch am selben Abend des Concerts – davon, ihm eine Serie von Instrumentalstücken zum Gebrauche für seine Berliner Kapelle zu übersenden. So kam es zur Entstehung der Brandenburgischen Konzerte. Der Populärtitel für diese – virtuosen, aber stets gelehrten und durchaus auch immer emotional etwas preußisch-mitteldeutsch »gefassten« – Werke schlich sich durch den Musikologen Philipp Spitta (1841–1894) und dessen etwa 200 Jahre nach Bachs Geburt entstandener Bach-Biographie ein. Eine Krönung der Gattung »Konzert«; die Verwendung eines besser zu memorierenden Alternativtitels sei dem verdienstvollen Spitta verziehen. Und nein, die Frage nach den potentiellen – und skurrilen – Fiauti d’Echo, den »Echoflöten«, die Bach laut Meinung Einzelner für dieses Konzert vorgesehen haben könnte, stellen wir uns heute übrigens nicht. Man lese dazu die Überlegungen von Lorenzo Alpert.

Stattdessen die Frage: Ist das »Vierte Brandenburgische« ein Meisterwerk? Und wenn »ja«, warum?  

1. Satz: Allegro

Natürlich ist das tolle Musik. Aber im Grunde auch nur ein absoluter Barock-Normalfall. Die hohen Instrumente spielen fast durchgehend – ja, klar, im konzertanten (»streitenden«) Sinne – 16tel; freilich: auch mal durchbrochen. Doch das wirkliche »Geheimnis« dieser Musik, where is that? Ist es die Mischung von gebrochenen Dreiklängen im Wechsel mit mal nach unten mal nach oben strebenden kleinschrittigen 16tel-Ketten?

Nein, das haben schon abertausende andere Barock-Komponist:innen zuvor vorgeführt. (Und auch nicht ganz schlecht.) Neben der Kraft der Durchführung – Bach fällt immer noch eine neue Möglichkeit ein, den Tonartengarten zu durchgraben – ist es zweierlei, was diesen ersten Satz meiner Meinung nach so toll macht: 1. Die Art, wie Bach mit der Solo-Besetzung (eine Violine, zwei Blockflöten) schon ganz zu Anfang kontrapunktisch umgeht: Die erste Flöte hält ein d3 in der Höhe fest, die zweite Flöte bringt Dreiklangsbrechungen in G-Dur und D-Dur; und die Solo-Violine präsentiert uns die einfachste Art, mit drei Tönen eine G-Dur-Tonleiter – jeweils mit zwei Achtelpausen in diesem beschwingten 3/8-Move dazwischen versehen – nach oben zu beschreiten. Es ist also die Mischung: Einzeltöne der Violine + Halteton der ersten Flöte + 16tel-Akkordbrechungen der zweiten Flöte.

Doch noch viel wichtiger ist: 2. Die Motivik der zwei Flöten in den Takten 3 bis 5.

Das ist fast »nichts«! Terzen nebeneinander; noch nicht einmal eine Melodie; ein Sprengsel, leicht rhythmisch interessant gemacht; aber das funkt so berührend dazwischen, dass das Liebes- und Geborgenheits-Hormon Oxytocin bei mir einschießt. Ich möchte diese Stelle umarmen. Schau, wie lieb die Kinder spielen! Total süß und berührend. Man ist kurz Zeuge dieser Szene – freut sich; und glaubt wieder an das Gute in der Welt.

Blockflöten sind nicht die leisesten Instrumente der Welt. Aber sie sind auch nicht verstörend laut. Und genau so, wie Bach sie einsetzt, wollen sie behandelt werden: dass man sie hört, dass sie das Beste machen, was auf ihnen möglich ist – und dass sie die ihnen eigene Virtuosität hinausblockflöten können! Wie man mit Blockflöten inszenatorisch gut umgeht, das hatte Bach schon anhand seiner mitreißenden Mühlhausener Ratswechselkantate Gott ist mein König im Jahr 1708 bewiesen: Die zwei Blockflöten spielen im dritten Takt der Kantate – nach mächtigem Tutti-Gekröne – kurz völlig alleine; so auch genialerweise ganz am Ende des ersten Satzes: die Blockflöten bleiben solistisch übrig; wie witzig und zugleich demütig kann man eigentlich sein?

Doch zurück nach Berlin und Brandenburg: Der erste Satz (Allegro) von BWV 1049 wird dadurch groß, dass Bach den Blockflöten ein extrem schlichtes, aber gut memorierbares Motiv anheimgibt und drumherum gelehrteste Konzert-Ausführungen durch viele Tonart- und Kontrapunkt-Zustände flechtet; so, dass man sich jedes Mal tierisch freut, wenn die Anfangsthematik zurückkehrt. Man ist entzückt und berührt. Manches Mal denkt man sogar nur kurz: »Jetzt kommt das Thema wieder!« – und dann sind es lediglich Antizipationen, die dich noch weiter anfixen; auf ein frohes Wiederhören!

Damit ist es an Ingredienzien aber nicht getan. Bach bringt außerdem Quasi-Taktwechsel (beispielsweise kurz vor dem ersten Violin-Solo), lässt die Solo-Violine immer virtuoser, in immer kleineren Notenwerten davonrasen – und beschenkt sie schließlich kompakt mit einer ganzen Reihe eng verzahnter Doppelgriff-Cringe-Situationen. All das gehört zu der Welt dieser Musik. Diese gilt es – beispielsweise vor Aufnahmen mit Herbert von Karajan und zwei Querflöten (seriously?) – zu schützen und zu bewahren. Und deshalb hören wir heute ausschließlich Aufnahmen historisch informierter Ensembles.

Il Giardino Armonico (1997)

Es ist immer spannend, wenn eine Rock-Truppe wie die Mailänder:innen von Il Giardino Armonico (1997) deutsches Repertoire spielt! Das klappte vor etwa zehn Jahren im Zeichen Händels schon eruptiv und unerhört! Und auch angesichts von »Brandenburg 4« wird das Ensemble seinem Ruf gerecht. Schmissige, trockene, fast lustig krümelige Begleit-Achtel (aber im felsigen Sinne!) knacken uns aus Bass-Richtung von Anfang an lakonisch entgegen. Bei den herausleuchtenden eingestreuten Haltetönen bilden sich jeweils kleine, expressive Bäuche. Dazu prasseln witzige Spott-16tel der Blockflöten hernieder, immerdar; als überführe der harmonische Garten Mailands uns vom ostdeutschen Winter hinein in ein frühlingsfrisches Rom, wo wir kurz Zeug:innen der Darbietung einer Pasquinade (einer römischen Schmähschrift) werden.

Extrem cool kugelt die Solo-Violine zu Beginn ihrer 32stel-Einlassungen ins Iglu hinein. Das schnurrt fast ein wenig metallisch und dadurch attraktiv und unlangweilig ab. Ein Crashkurs in Sachen barockes Konzertieren mit Spaß dabei. Ein knusprig-trockenes Schauspiel voller Witz, wie ein frisch gebackener Zwieback. Ab und zu werden kleine Crescendo-Inseln dramatisch eingebunden; ein keckes Spiel von Verstecken und Wieder-Auftauchen.

Akademie für Alte Musik Berlin (2003)

Mit weniger Druck geht es gleich bei der Akademie für Alte Musik los (2003). Wie nach einmal Durchlüften. Das ist extrem leichtfüßig und geschmackvoll, mit sehr viel Freude musiziert. Ein gesundes, leichtes und dabei sehr leckeres Essen, nach dem man sich fragt, wie sexy Gemüse eigentlich sein kann. Hier ist mehr Binnendynamik als bei den Mailänder Kolleg:innen im Spiel; und die Grundeinstellung lautet (sehr sympathisch): Unser Tutti ist leise (!) – und wenn es etwas zu melden gibt, dann melden wir uns! Alles ist extrem transparent, aber nicht klinisch; manches verharrt sogar im (schönen) Moment; belesener, anders. Wie süß sich manches Mal die Blockflöten dazuschleichen; dass ich bei barocker Allegro-Musik Wasser in den Augen bekomme: lange nicht mehr passiert. Midori Seiler saust auf ihrer Barockgeige herum, viel weniger metallisch natürlich als Enrico Onofri, die Doppelgriff-Passage dabei lukullisch auskostend; derweil machen die Flöten heimeliger und frecher »Kuckuck«.

Academy of Ancient Music (2009)

Total zurückgelehnt beginnen die Kolleg:innen von der Academy of Ancient Music (2009) unter der Leitung von Cembalist Richard Egarr das Konzert. Viel weniger »beteiligt« als Mailand und Berlin. Fast nachdenklich musiziert die Solo-Geige ihre ersten Vorzeigepassagen; englisch, dezent, super seriös. Eine Quasi-Verharrung in der »eigentlichen« potentiellen Beschleunigung. Die angesprochenen Haltetöne bauchen nicht so auf wie bei Il Giardino Armonico, sondern schimmern stets ganz im Hintergrund der gesamten Spielfläche. Vielleicht hat sich das Bach eher so gedacht: als ein Wahrnehmungsspiel; wo ist was? Spürst du die spielerische Kontrapunktik, das Festhalten einzelner Töne – und das gar freudige Drumherumgeschmeide der anderen? Dann spüre es – und sei mit dabei; bei Egarr und seiner Compagney!

Freiburger Barockorchester (2014)

Noch einmal viel flotter und punktueller in der Artikulation der Einzeltöne geht das Freiburger Barockorchester (2014) zu Werke; dabei doch differenziert und farbenfroh, fast prunkvoll in den Blockflöten. Da wird die Lippenspannung auch einmal absichtsvoll zurückgenommen, um aus einem spitzen Blockflötengelb ein interessantes Violett zu machen. Angeschärft exponiert Gottfried von der Goltz sein erstes Solo; das Ensemble setzt dabei viel weniger Wert auf wirkliche Genauigkeit im Zusammenspiel; und die Geige ignoriert die Charakteristik der Vortragsweise der beiden Blockflöten bewusst erst einmal. Details – wie die besagten Hemiolen-Neckereien, die ein temporäres 2/8-Gefühl in den 3/8-Flow hineindängeln – gelingen sehr fein; und von der Goltz gründelt äußerst nachdenklich auf seiner Violine herum; das ist gut. Doch da! Plötzlich wird deutlich ritardiert: Was ist denn hier los? Und warum an dieser Stelle? Die Antwort (und die Gesamtinterpretationsästhetik dieser Aufnahme): Why not? Leicht aufgesetzt, zu established im Wissen darüber, dass auch schon andere dieses Stück auf Platte pressen ließen. Aber: halt! Was folgt auf das eingebaute Ritardando? Die unerwartete Verzögerung wird zu einem Quasi-Aufruf: Wo bleibt eure Leidenschaft? Plötzlich klingt alles viel beteiligter und temperamentvoller. Faszinierend, etwas kryptisch. Da kräuselt sich das Cembalo mal interessant zusammen; und kocht den Gemischtwarenladen differenziert auf.

2. Satz: Andante

Der zweite Satz ist eine Sarabande, also ein langsamer, schwerlastender Tanz; hier: mit mühselig-beladenen Emotionen, Echo-Effekten und wenigen Herausschälungen der beiden Blockflöten, die dennoch durchweg den Ton angeben. Jahrzehnte zuvor liebte man in französischen und italienischen Opern – die deutschsprachige Oper wurde erst um Bachs Geburt herum »erfunden« – Schlafszenen; Opernmomente, in denen Protagonist:innen schlichtweg die Äuglein zumachen, um sich für künftige Aufgaben zu rüsten. Daran angedockt erweist sich dieser Mittelsatz hier bei Bach als »Schlafsatz«; parallele Terzen, herabschreitende, chromatische (also einfach engstmögliche) Gänge, losgelassenes Klagen. Das Andante bildet somit das absichtlich spaßbremsige Gegenstück zum Mix von Gelehrten-Konzert und Kinder-Flöten-Spielplatz des ersten Satzes. Hier bin ich ernst, hier muss es sein.

Il Giardino Armonico (1997)

In der Aufnahme mit Il Giardino Armonico befinden sich die Blockflöten durchweg im Hör-Vordergrund. Viel wird mit Crescendo-Decrescendo-Bäuchen gearbeitet; aber irgendwie lässt die Musik merkwürdig kalt; als könnte das Ensemble mit langsamen »deutschen« Sätzen nicht so viel anfangen. Ratlosigkeit.

Akademie für Alte Musik Berlin (2003)

Gar nicht einmal viel »sensibler«, aber sich vielmehr selbst zuhörend interpretieren die Mitglieder der Akademie für Alte Musik Berlin die Morpheus-Hommage. Seilers Solo-Violine erscheint viel abgesetzter vom Klang der Blockflöten; und so lässt sich wahrnehmen, welch’ eindrückliche Sprünge die Geige im langsamen Tempo vollführen muss.

Academy of Ancient Music (2009)

Noch viel mehr »Linie« gibt es in der Einspielung mit der Academy of Ancient Music zu hören; auch, weil das Tempo endlich mal einem »Andante« nahekommt. Merkwürdig, wie die »Strenge« der Engländer:innen diesem Satz gut tut. Als käme er hier zu sich selbst. Merke: Manche expressive Musik spricht erst dann vollends zu uns, wenn sie nicht gewollt expressiv musiziert wird.

Freiburger Barockorchester (2014)

Das Freiburger Barockorchester ist sehr darauf versessen, jede einzelne Viertel des Mittelsatzes zu exerzieren. Das ist zwar irgendwie ein angenehm nerviger Gegensatz zur Spritzigkeit des ersten Satzes, doch steht die Musik auch etwas beängstigend auf der Stelle. Mmh.

Genau 300 Jahre alt, aber immer noch gut: Bachs 4. Brandenburgisches Konzert. In welcher Interpretation es am besten kommt, erklärt @vanmusik.

3. Satz: Presto

Am Ende des Ganzen steht eine der wohl gelungendsten Fugen aller Zeiten; variabel in der Ausgestaltung, höchst virtuos und gelenkig in der Solo-Violine – und aufgestachelt-beseelt im Charakter.

Il Giardino Armonico (1997)

Natürlich sind die Damen und Herren von Il Giardino Armonico mit (berechtigter) Freude bei der Sache; und angesichts der ersten alleinigen Passage der drei Solist:innen findet eine erstaunliche Verschmelzung des Klangs statt; aber irgendwie tönt das wie Gleichmacherei. Später kommt es dann zu attraktiven Abwartungen – und es regnet aufregend schnippsige Soli. Vielleicht wäre eine offensivere tontechnische Abnahme der Blockflöten ratsam gewesen? Dennoch ist das eine gute Aufnahme, die man lecker angeregt weghören kann und bei der man angesichts von humorigen Laut-Leise-Schluss-Überraschungen immer wieder mit der katzendarmbesaiteten Zunge schnalzt.

Akademie für Alte Musik Berlin (2003)

Merklich rascher geht es bei der Akademie für Alte Musik Berlin ab. Tupfiger, schalkhafter, transparenter! Und dadurch im Eindruck noch viel freudiger! Union Berlin schlägt den AC Milan. Alles erscheint durchlässiger und spaßvoller, vor allem im dreifach besetzten Solo-Sturm ganz vorne. Frühling is coming soon, ya’ people! Die Solo-Violine befindet sich mutig im ziemlichen Vordergrund, dazu gesellen sich die Blockflöten aber klanglich ideal, als ein menschlicher Timbre-Schatten der Geige. Viel angepiekster geht es nun zu; da kann die Solo-Violine nach einer virtuosen Passage auch mal wohltuend die Zügel in der Abwehr schleifen lassen und sich umso lockerer einschwingen in das ganze Gefüge. Doch bevor es ein wenig zu schön wird, setzt das Ensemble überraschende Akzente; auf, auf! Der Frühling flattert das rot-weiße Absperrband vor Spielplätzen wie von selbst weg!

Academy of Ancient Music (2009)

Viel seichter – noch eingefroren vom Satz zuvor – heben die Engländer:innen an; wie mit zugekniffenen Augen; deutsche Fröhlich-Musik? Wir bleiben skeptisch! Das ist einfach Musizieren »an sich«; fast ohne individuelle Dreingabe des »Selbst«. Die Solo-Violine hoppst fein und trocken auf und nieder; aber dazu hören wir tolle lange Blockflöten-Linien und Bachsche Wechselspielchen. Was für eine demütige Interpretation dieses hochgeschätzten Ensembles! Ein bisschen wie auf Hasch – und dadurch etwas zu cool für die Freund:innen großer Emotionen.

Freiburger Barockorchester (2014)

Fast angeknarzt geht es dafür bei den Freiburger:innen los; mit mehr Charakter, mehr Persönlichkeit; man ist nicht auf Schöngeistigkeit aus. Die Blockflöten purzeln witzig herein – und alles groovt irgendwie so toll! Angeraut doch mit lieben Blitzen blinkt von der Goltzs Barockgeige herüber. Irgendwann wird klar, dass sich alle in einer ganz komisch fahlen Mittellage des Klangs wiederfinden; alles etwas scheppernd, absichtlich nicht vollmundig, sondern angezittert. Keine Ahnung, was das soll. Aber die können was! Käme ich allerdings in die alltägliche und stets selbstverständliche Insel-eine-Aufnahme-bitte-wählen-Situation: Ich würde wohl die Akamus-Einspielung nehmen. ¶