052/250: Teresa Carreño

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250 Komponistinnen. Folge 52: Liszt lässt zweifach grüßen.

Text · Datum 11.11.2020

Nach Volksentscheid vom 10. Dezember 1957 wurde das Frauenwahlrecht Teil der Verfassung Kolumbiens. Doch schon mehr als hundert Jahre zuvor, im Jahr 1853, hatte die Stadt Vélez im Nordosten Kolumbiens, Geburtsstadt des DDR-Komponisten Reiner Bredemeyer (1929–1995), als erste Stadt der Welt überhaupt das Frauenwahlrecht eingeführt. In diesem Jahr – genauer: am 22. Dezember 1853 – wurde im Nachbarland Venezuela María Teresa Carreño García de Sena geboren. (In Venezuela dürfen Frauen erst seit 1946 an politischen Wahlen teilnehmen.)

Teresas Mutter Clorinda García de Sena y Rodríguez del Toro (1816–1866) stammte aus einem Musiker:innen-Haushalt und war mit María Teresa del Toro (1781–1803), der prominenten Ehefrau des südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar (1783–1830) verwandt, dem Teresa Mitte der 1880er Jahre später eine (schlimme) Komposition für Chor und Orchester widmen sollte.

Teresas Vater Manuel Antonio Carreño Muñoz (1812–1874) war ein umtriebiger Mann und als Lehrer und vor allem als einflussreicher Diplomat tätig; außerdem galt er als guter Amateurpianist und überhaupt begeisterter Laien-Musiker. Im Jahr 1861 war Vater Manuel für lediglich ein paar Wochen Außenminister und Finanzminister Venezuelas, verließ das Land aber in den Wirren des Föderalen Krieges (1859–1853) zusammen mit einem Großteil seiner Familie und dem dazugehörigen Personal in Richtung New York.

Die junge Teresa wurde von ihrem Vater, der eigens viele hunderte Etüden für seine Tochter komponierte, am Klavier unterrichtet. Das pianistische Talent Teresas wird als sagenumwoben beschrieben und in einem Atemzug mit den frühkindlichen – ebenfalls väterlich unterstützten wie öffentlichkeitswirksam ausgeschlachteten – Fähigkeiten Wolfgang Amadeus Mozarts genannt. Erschwerend kam bei Teresa gar die nationalsymbolische Vermarktung ihres »Wunderkind«-Status hinzu.

Im Alter von neun Jahren gab Teresa ihr erstes öffentliches Konzert als Pianistin, 1863 spielte sie vor Präsident Abraham Lincoln im Weißen Haus. Zwei Jahre später folgten Klavierunterrichtsstunden bei Louis Moreau Gottschalk (1829–1869), dem innovativen Reformer der Klaviermusik Mitte des 19. Jahrhunderts, der mit 40 Jahren in Folge einer Malaria-Erkrankung verstarb und in seine Klavierwerken, von denen das Virtuosenstück The Banjo (1848) das Bekannteste ist, kreolische, ragtime-antizipierende und andere damals als »exotisch« geltende Einflüsse mit hinein amalgamierte.

1866 musste Teresa mit dem Tod ihrer Mutter einen schweren Schicksalsschlag verkraften; im selben Jahr siedelte sie kurzfristig mit ihrem Vater nach Spanien über. Dort setzte sie ihre erfolgreiche Pianistinnenlaufbahn fort. Nach einem weiteren Umzug Ende der 1860er Jahre nach Paris wurde sie dort für vier Jahre (1868–1872) Klavierschülerin bei Pianisten-Legende Anton Rubinstein (1829–1894)

Bis 1875 war Teresa Carreño mit dem französischen Komponisten Émile Sauret (1852–1920) verheiratet, dessen Ruhm aktuell nur noch aufgrund seiner stark rezipierten – und höllisch schweren – Solo-Kadenz zu Paganinis erstem Violinkonzert »fortlebt«. 1876 heiratete Carreño den italienischen Bariton Giovanni Tagliapietra, der von gewisser Berühmtheit gewesen sein muss, schließlich berichtete die New York Times ausführlich anlässlich seines Todes im Jahr 1921. Aus der Ehe mit Tagliapietra, die immerhin neun Jahre hielt, ging im Jahr 1882 eine Tochter und ein Sohn hervor.

1885 kehrte Carreño erstmals wieder für kurze Zeit in ihre einstige Heimat Venezuela zurück. Zu dieser Zeit hatte sie sich als Pianistin bereits etwas von den Bühnen zurückgezogen und konzentrierte sich auf das Verfertigen eigener Kompositionen.

Carreño heiratete noch zweimal, zuletzt den Bruder ihres zweiten Ehemannes Tagliapietra; vor dieser Ehe war sie von 1892 bis 1895 mit dem Opernkomponisten Eugen d’Albert (1864–1932) verheiratet.

Teresa Carreño starb am 12. Juni 1917 im Alter von 64 Jahren in New York.

Teresa Carreño (1853–1917)La fausse note. Fantasie-Valse op. 39 (1872) für Klavier

Neben einem Streichquartett und einer Streicherserenade (beide Werke stammen aus dem Jahr 1895) komponierte Carreño zwei patriotische Stücke für Chor und Orchester (1883/85 und 1886). Der Rest ihres kleinen Oeuvres besteht aus einzelnen Klavierstücken, angefangen von einer Hommage an ihren wichtigen Lehrer Louis Moreau Gottschalk. 1872 entstand Carreños Fantasie-Walzer mit dem witzigen Titel La fausse note (Die falsche Note).

Die besagte »falsche« Note, die stetige, kitzlige h1-Vorschlagsnote vor dem Hauptton c2, ist von Anfang an präsent; hinzu kommen verwegen »falsch« lodernde Tritonus-Aufgänge, die jeweils in die Dominante der Grundtonart f-Moll münden; Liszts Mephisto-Walzer lässt (all)gemein grüßen. Außerdem als einflussreicher Grüß-August dabei ist – relativ klar erkennbar – Frédéric Chopin und eine ferne Anverwandlung eines charakteristischen Mittelteils aus seinem 1833 komponierten Grande valse brillante Es-Dur op. 18. Vorschläge, nichts als Vorschläge! Teufel auch!

19. Jahrhundert; Venezuela, USA, Spanien: die Pianistin und Komponistin Teresa Carreño in @vanmusik.

Der Chopin-Einfluss stellt sich etwas später ein, wenn Carreño ihren Walzer in Gang kommen lässt. Die fein-fiesen h1-c2-Vorschläge setzt sie dabei gerne auf wechselnde, sprich: differierende, Hör-Irritation auslösende Zählzeiten. Und in dem Moment, in dem Carreño die Walzer-Tür zu der Klavier-Virtuos:innen-Tonart schlechthin – nämlich: Des-Dur – öffnet, tritt gleichfalls Liszt mit einer Erinnerung an seine 1859 vorgelegte Rigoletto-Paraphrase leidenschaftlich über die Schwelle des Raumes. ¶