»Irgendwann ist sie pleite, verfällt und dann ist sie sowieso nicht mehr so interessant.«

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Ein Gespräch über Konsumsucht in der Elbphilharmonie mit Niko Paech, Michael Maierhof und Tobias Rempe.

Text VAN-Team · Titelbild © Michael Zapf · Datum 29.11.2017

Über Kunst in der Postwachstumsgesellschaft sprachen am 15. November 2017 im zum Resonanzraum upgecycleten Bunker auf St. Pauli Niko Paech (Volkswirt, Autor, Postwachstumsökonom und Innovationsforscher), Michael Maierhof (Komponist) und Tobias Rempe (Geschäftsführer des Ensemble Resonanz). Jeffrey Arlo Brown aus der VAN-Redaktion moderierte. Wo die Möglichkeiten der Wissenschaft an Grenzen stoßen und wie die Kunst da weiterhelfen kann, ist hier im ersten Teil des Gesprächs nachzulesen. An dieser Stelle folgt ein Exkurs über die neue Nachbarin.

Jeffrey Arlo Brown: Michael, könntest du als Komponist in Hamburg auch ohne die Elbphilharmonie leben?

Michael Maierhof: Ich bin schon öfter drin gewesen und ich finde es super, dass sich eine Gesellschaft so einen Kunsttempel leistet. Da gibt es ganz andere Ausgaben, über die niemand redet, wenngleich da Milliarden fließen. Insofern habe ich eigentlich kein Problem damit, dass in die Elbphilharmonie 800 Millionen reingeflossen sind, auch wenn es da politisch natürlich viel Misswirtschaft gegeben hat – das hätte man billiger haben können. Aber wenn man Hapag-Lloyd für 2 Milliarden kauft und sich keiner aufregt, dann verstehe ich die Balance nicht: ›Für die Kultur soll nicht so viel Geld ausgegeben werden, aber für Anteile an Hapag-Lloyd dann schon.‹ Insofern bin ich jetzt nicht unbedingt ein Kritiker. Ich bin ein bisschen ein Kritiker geworden in der letzten Zeit – des Publikums. Also nicht des Saals. Immer, wenn ich da war, ist da so viel provinzielles Publikumsverhalten an den Tag gelegt worden, dass ich echt schockiert war. In welcher Kulturmetropole befinde ich mich eigentlich mit diesem tollen Konzertsaal? Ich fand das schon schwierig, dass so viele Leute nur wegen der Architekturbesichtigung dahin gehen und die Musik vollkommen Nebensache ist. Das ist nicht schön, wenn man das als Musiker miterlebt, wenn ich dann selbst auch gar keine Karte für Konzerte kriege, die ich eigentlich gern hören möchte. Das sind so komische Auswüchse. Da stimmt irgendwas nicht und das muss sich irgendwie mit der Zeit mal zurechtruckeln.

Im Resonanzraum auf St. Pauli im Gespräch über die neue große Nachbarin: Jeffrey Arlo Brown, Michael Maierhof, Tobias Rempe, Niko Paech
Im Resonanzraum auf St. Pauli im Gespräch über die neue große Nachbarin: Jeffrey Arlo Brown, Michael Maierhof, Tobias Rempe, Niko Paech

Frau 1 aus dem Publikum: Die Provinz darf nicht gucken?

Michael Maierhof: Doch, natürlich, Musikliebhaber dürfen – gerne von überall her.

Frau 1 aus dem Publikum: Die Architekturliebhaber oder die Neugierigen nicht?

Michael Maierhof: Doch, auch die. Aber dann würde ich als Elbphilharmonie Architekturführungen machen, wie das in anderen Konzerthäusern ja auch gemacht wird. In Los Angeles in der Disney Hall kann man tagsüber rein, da kann man wunderbar die Architektur sehen, da kriegt man auch Informationen über den Bau, das muss aber nicht während des Konzerts stattfinden.

Frau 2 aus dem Publikum: Ich muss Ihnen da Recht geben. Im Kleinen Saal – ich bin da sehr häufig – gibt es viel klassische moderne Musik. Und das Problem an der Geschichte ist, dass die Leute während des Konzertes einfach aufstehen, rauslaufen in Massen, auch vorne an der Bühne lang. Der Künstler kriegt das mit, der Künstler sieht das. Ich finde das unmöglich. Man kriegt gar nichts mehr vom Konzert mit, weil die Leute während des Konzerts in Massen rausströmen, auch schon nach 10, 15 Minuten.

»Irgendwann ist sie pleite, verfällt und dann ist sie sowieso nicht mehr so interessant.« Die Elbphilharmonie im Postkonsum in @vanmusik.

Frau 1 aus dem Publikum: Hat das was mit Provinz zu tun?

Tobias Rempe: Zum einen würde ich gerne an der Stelle ein Zitat bringen vom Intendanten der Elbphilharmonie, von Christoph Lieben-Seutter, der zum Thema ›zwischen den Sätzen klatschen‹ mal gesagt hat: ›Ich finde das großartig. Wenn Leute zwischen den Sätzen klatschen, denk ich immer: Ah, wieder welche, die noch nie hier waren.‹ Letztlich hat er da Recht. Wir bemühen uns auch sehr darum, immer mehr Leute für das, was wir tun, zu begeistern und in die Konzerte zu holen, ob im Resonanzraum oder in der Elbphilharmonie. Grundsätzlich denke ich, dass es erstmal eine Chance ist, wenn das Konzerthaus Leute anzieht, die noch nie da waren. Es gibt tatsächlich ein paar Veranstaltungen – und da bin ich dann auch bei dir (zu Michael Maierhof) – die ein riesiges Missverständnis sind, weil da mehr als die Hälfte der Leute einfach nur irgendeine Karte gekauft hat und dann feststellt: Die Musik gefällt ihnen nicht. Der Klassiker ist: Das zweite Stück noch abwarten, um dann zu sagen: ›Ah, das ist ja genauso doof wie das erste‹, und dann gehen.

Jeffrey Arlo Brown: Ist so ein Verhalten auch eine Art von Konsumsucht?

Niko Paech: Ich denke schon. Der gehobene Konsum ist ja der Kunstkonsum. Wenn ich also materiell in allen Bereichen befriedigt bin, dann werden höhere Ebenen von Bedürfnissen plötzlich relevant, die befriedigt werden wollen. Dann bewegen wir uns in einer Ökonomie der Symbole der Aufmerksamkeit, der Reputation, sodass das ›gelingende Leben‹ nicht mehr vom Mercedes-Stern abhängt, sondern davon, wie viele Eintrittskarten zur Elbphilharmonie man vorweisen kann oder wo man gerade gegessen oder Urlaub gemacht hat. Das ist kein neues Phänomen. Aber es ist jetzt ein Massenphänomen. Und die Kritik mag ja berechtigt sein. Aber wenn man so einen Tempel baut, so ein politisches und mediales Brimborium inszeniert, wie kann man dann nicht erwarten, dass Hans und Franz und Krethi und Plethi oder Jan und Mann oder wie das hier heißt an der Elbe dahin wollen und sich damit schmücken, auch mal da gewesen und vielleicht gesehen worden zu sein? Und abends im Wirtshaus bei einem Astra Rotlicht dann zu sagen: ›Ey, ich war jetzt gerade in der Elbphilharmonie.‹ Und wie ich gehört habe, findet da eben auch Jazz statt, John Zorn war neulich da – ich war nicht da. Scheiße.

John Zorn in der Elbphilharmonie. Mit Band, ohne Niko Paech • Foto © Claudia Höhne 
John Zorn in der Elbphilharmonie. Mit Band, ohne Niko Paech • Foto © Claudia Höhne 

Ich meine: Wenn man diese Verwertung des Tempels vornimmt, sodass keine Stringenz mehr da ist, sondern viele Musikstile, dann ist es erst recht so, dass da eine Mischung eintritt und dann Leute aus rein symbolischen Gründen auftauchen. Aber das wird abnehmen. Ich denke mal, nach einer kurzen Zeit wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Dann hat man das gesehen und dann ist das auch nicht mehr so fürchterlich neu und supertoll. Irgendwann ist sie pleite, verfällt und dann ist sie sowieso nicht mehr so interessant. ¶