Ende-der-Saison-Bagatellen

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Text · Datum 30.8.2017

Die Bayreuther Festspiele twittern in diesem Jahr zum ersten Mal richtig, nachdem die jungen Frauen und Männer vom Blog ›Musik mit allem und viel scharf‹ dies letztes Jahr noch simuliert hatten. Hat ganz gut geklappt, es gibt Backstage-Grimassen, Fun Facts, die ein oder andere Entzauberung, dafür aber auch wundersame Momente wie dieser:

Ikonische Zeichen, die Zweite: So sieht der Hashtag aus. Und so das Kreuz. Nur falls ihr es vergessen habt.

Und so Rufus Wainwright mit Bart. Vielleicht die Suche nach Respekt, vielleicht das Alter, aber zumindest kein Feriending: Bei seinem Auftritt in der Elbphilharmonie Ende August hatte er ihn immer noch.

Sommerlaune, Sommerfreizeit-Publikum: Gib’ ihrem unruhigen Geist irgendeinen Anlass, sich nicht mehr konzentrieren zu müssen und sie sind bereit, eine Performance zu ruinieren.

Während wir im Cidre-Rausch irgendwelche Hunde beklatscht haben, hat John Adams eine neue Oper fertiggeschrieben. Warum? Weil er wollte, wahrscheinlich.

Anderswo zur selben Zeit: Die Erkenntnis, dass Wollen nicht ausreicht. Der Komponist Nico Muhly scheint etwas verzagt angesichts seines kreativen Outputs. Und in solchen Phasen sieht man dann eben überall Schatten.

Es lässt sich aber auch Licht sehen, wo vielleicht gar keins ist …

Die Vorgeschichte: Der US-Präsident hatte Beethovens Neunte, deren Aufführung in der Elbphilharmonie er zumindest körperlich zugegen war, kurz und bündig als »Opera« bezeichnet:

Und dann wurden von allen Bildern gemacht, den Ehefrauen und den Staatsoberhäuptern (leaders; übrigens: sic!), und dann den Staatsoberhäuptern und dann, you know, viele Bilder draußen über dem Fluss. Dann gingen alle rein und sahen die Oper. Dann endete die Oper.

(Übersetzt aus einem Interview der New York Times)

So etwas findet keiner mehr lustig, deswegen ist die Frage interessanter: Wie würde die Welt aussehen, wenn wir von Jedem nur das Beste vermuten würden? Alex Ross macht es vor.

Und dennoch wollen wir Missstände beim Namen nennen. Oft und mit Verzückung haben wir rüber nach Hawaii geschaut und die leichte, lebensfrohe und anmutige Haltung des Sinfonieorchesters bewundert. Aber auf die verniedlichende Jedem-Kind-ein-Instrument-Nummer, die sie da letztens abgezogen haben, fallen nicht einmal die Kleinsten herein. #Fail!

https://www.instagram.com/p/BUBAd05BM-P/?taken-by=hawaiisymphonyorchestra

Was wäre, wenn Happy Birthday eine brauchbare Melodie hätte? Iván Fischer ist nicht länger bereit, die bisherige hinzunehmen, hören Sie selbst: Der Autor dieser Zeilen hat schon nach Einmal-diesen-Clip-gucken die neue Version im Ohr und wird sich vermutlich auch immer wieder daran erinnern und vielleicht sogar fortan jedes Ständchen mit einer Belehrung unterbrechen, worauf die Leute verwirrt schauen, aber dann vielleicht selbst fröhlich und neugierig reagieren und von Herzen die neue Melodie singen. Allein die neue Anfangssequenz hat eine berlinerische Melancholie, drückt ein langes aufrichtiges Hinschauen aus, Mitgefühl für die Vergänglichkeit des Jubilars.

Hier nochmal Ksenija Sidorova zur Veranschaulichung: Das wäre also das alte Happy Birthday, wirkt irgendwie wächsern – will zuviel, bleibt starr, es passt nicht – oder wie der Herr Fischer im obigen Video sagen würde: »Zu wenig ›You‹, zu viel ›To‹.

Und hier »after transformation« das neue Happy Birthday: easy, locker, nonchalant, abenteuerlustig, befreit.

https://www.instagram.com/p/BX-v7_MlZl3/

Disclaimer: Die Initiative Neue Musik Berlin hat auch eine Anzeige bei VAN geschaltet, in der dieses Video vorkommt, aber: Für die Bagatellen war der Trailer für den ›Monat der zeitgenössischen Musik‹ schon auf der Liste, bevor der Redaktion dieser Umstand mitgeteilt wurde, einfach weil es so gute Laune macht, außerdem: Lust rauszugehen, was zu essen, irgendwas zu sehen, was zu hören, jemanden anzufassen, LSD zu nehmen vielleicht.

Apropos was nehmen: Die Schweiz hat die Zürcher Technokultur neben »Berner Bauernkeramik«, »Wetter- und Klimawissen« oder dem »Brunnensingen der Sebastiani-Bruderschaft« zu Rheinfelden in die Liste ihres immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Hans Cousto hat darüber einen Artikel auf dem Drogerie-Blog der taz geschrieben. Hans Cousto?

Techno als Kulturgut in einer Schweizer Liste, das verschäft natürlich die Sorgen von Steven Walter, Gründer des Esslinger Podium-Festivals und eines Kulturmanagers, der sich dauernd darüber Gedanken macht, wie komponierte Musik in der Jetztzeit erscheinen sollte.

Stimmt schon, es gibt keine Nischen mehr, alles, was wir erfahren können, ist bereits Vergangenheit, fast alles ist Produkt: Red Bull sponsort eine Fotostrecke aus den Kölner Elektronischen Studios zum Geburtstag von Karlheinz Stockhausen.

Wie kann man sich vor solchen Zukunfts-Zweifeln schützen? Indem man sich auf seinen Hosenboden setzt und jeden Takt von Beethovens letzter Klaviersonate c-Moll op. 111 einzeln analysiert, da hast du deine Zukunft! VAN- und nmz-Autor Arno Lücker ist bei seinem Projekt inzwischen bei Takt 100 angekommen. Außerdem hat er eine Monstermaschine gebaut, den Oper-O-Maten, der analog zum Sinfon-O-Maten jedem von Euch die richtige Oper zuweisen wird. Er kommt in einer der nächsten Ausgaben, seid gewarnt. Einstweilen viel Spaß und Grüße von den Bagatellen.