Ein wahnwitziges Unterfangen wird konzertant verklärt.

cover-1498653268-78.jpg

Über Wim Wenders’ Operndebüt mit Bizets Les pêcheurs de perles.

Text · Titelbild Donata Wenders · Datum 28.6.2017

»Es ist schön, Musik nur zu hören. Manchmal ist mir in der Oper einfach zu viel los«, sagt Wim Wenders im Vorabinterview mit Christine Lemke-Matwey in der ZEIT. Im Alter von 71 Jahren inszeniert er an der Berliner Staatsoper mit Georges Bizets Frühwerk Les pêcheurs de perles (»Die Perlenfischer«) zum ersten Mal eine Oper. Der Filmregisseur, in dessen Œuvre Pop- und Rockmusik immer eine wichtige Rolle gespielt haben, beschäftigt sich damit erstmals auf großer Bühne mit klassischer Musik.

Artikel jetzt twittern: Die Krux ist, dass man in der Oper die Augen nicht schließen will. Wim Wenders’ Operndebüt mit Bizet.

Ums Hörerlebnis geht es Wenders also und darum, eine Operninszenierung zu schaffen, in der wir uns mit offenen Augen dem Hören hingeben können. Hierfür wählt er als Bühnenbild einen mystischen, einsamen Strand, eine leicht schimmernde Bühnenschräge (Bühne: David Regehr), die den gesamten Raum einnimmt, umsäumt von einem schwarzen Vorhang als Horizont. Vor allem durch subtile Beleuchtung (Licht: Olaf Freese) und durch wiederkehrende poetische Video-Projektionen von Wasser, Himmel und Gesichtern (Close-Ups) entsteht Leben.

Francesco Demuro (Nadir) und Gyula Orendt (Zurga) • Foto Donata Wenders
Francesco Demuro (Nadir) und Gyula Orendt (Zurga) • Foto Donata Wenders

Doch was hört Wenders?

Er hört ein Meisterwerk und inszeniert es als statisches Wagner-Drama. Genau das aber ist diese Oper nicht. Les pêcheurs de perles ist Bizets Versuch einer großen Oper, das wahnwitzige Unterfangen eines 24-jährigen Komponisten auf der Suche nach sich selbst. Es ist Bizets Griff nach den Sternen, die er hörbar streift, die Magie ist da, aber er kann sie noch nicht festhalten, und bis zu Carmen, dem wirklich großen Wurf, sollen noch 12 Jahre vergehen. Es ist eine Oper über das Ringen um einen Ausdruck, ein Austesten, ein Kampf mit Klischees und Opernstereotypen. Genau das hat Bizet hier komponiert und es ließe sich wunderbar inszenieren: Drei junge Menschen auf der Suche nach Liebe, Freundschaft und sich selbst. Das Spannende an der Perlenfischer-Partitur ist der Elan, der sich in der Unvollkommenheit spiegelt, also die Jugendlichkeit und somit das Gegenteil von dem, was Wenders und Barenboim da machen. Klar, die Oper hat durchaus Mängel, das Libretto strotzt nur so vor Konstruktionen und Klischees, doch gerade die Fehler in Text und Partitur könnten auch szenisch für einen Reiz sorgen, wenn man diese Oper als Bizet’schen Sturm-und-Drang lesen würde. Stattdessen lässt Wenders seine Sänger wie statische Halbgötter agieren und die situativen Ansätze seiner Personenregie bieten ihnen null Spielanlässe, obwohl man diese bei einer französischen opera durchaus erwarten kann.

Gyula Orendt (Zurga), Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) und Francesco Demuro (Nadir) • Foto Donata Wenders
Gyula Orendt (Zurga), Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) und Francesco Demuro (Nadir) • Foto Donata Wenders

Die Krux ist, dass man in der Oper die Augen nicht schließen will. Der Priester Nourabad (Wolfgang Schöne) kommt wie eine Mischung aus Dionysos und Poseidon daher (Kostüme: Montserrat Casanova). Nadir, der liebende Tenor, gesungen vom stimmlich etwas angestrengten Francesco Demuro, erinnert in seinem hennafarbenen Leinengewand an Jesus von Nazareth. Sein Freund und Rivale Zurga dagegen, der schauspielerisch viel überzeugendere Bariton Gyula Orendt, ist wallend im schwarzen Wotan-Mantel unterwegs. Alles durchaus ernst und ironielos. Und das Objekt ihrer Begierde, Leïla (Olga Peretyatko-Mariotti), taucht zunächst in weiße Schleier gehüllt auf wie eine somnambule Stummfilmprinzessin, während sie neben dem Singen vor allem mit einer Art wedelndem Schleier-und-Schleppe-Ausdruckstanz beschäftigt ist.

Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) • Foto Donata Wenders
Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) • Foto Donata Wenders

Auch zu ihrer vermeintlichen Hinrichtung am Ende der Oper im musikalisch leider schleppenden dritten Akt erscheinen Nadir und Leïla wie aus dem Ei gepellt. Und so lässt Wenders sie stehen oder schreiten, barfuß natürlich, das Libretto deklamierend, und versucht, uns mit ans Konzertante grenzendem Gesang und passender Lichtstimmung zu verführen.

Prinzipiell habe ich nichts gegen kontemplative Momente in der Oper, ja, sie gehören entscheidend dazu und auch ich lasse mich zwischendurch immer wieder locken durch schimmerndes Mondlicht am Märchenstrand, durch Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin und durch Bizets unfassbar schöne Musik. Doch fast alles, was an den Perlenfischern interessant sein könnte, geht verloren, denn Wenders verweigert den Dialog mit der Partitur. Er bleibt damit der Illustration verhaftet und wird mit seiner Verklärung dem Werk nicht gerecht. ¶