Nur Kunst ist Szieg. Erzpolitik triumphiert.

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Bernhard Langs Überschreibung von Wagner in einer Inszenierung von Jonathan Meese bei den Wiener Festwochen.

Text & Fotos · Datum 7.6.2017

Willkommen in Wagners Wachsfigurenkabinett. Grüß Gott die Kunst! Die Moomins kommen! Parsifal ist immer Daddy Cool. Z.U.K.U.N.F.T. pisst alles weg. Mondparsifal ist die Radikalsttotale Kunst. Ideologie ist kalter Kaffee. Erzmacht Erzvater Erzmutter! SchmERZ lass nach. Milchbart=Blaubart. Und jetzt?

»Kunst ist die Regierungsform von Morgen. Kunst ordnet«, kritzelt Jonathan Meese mit dickem Filzstift auf Seite 7 seines Erzmanifests zu Richard Wagner, das er am Rande seiner Mondparsifal-Urauführung bei den Wiener Festwochen zu Papier gebracht hat. Wo Politik versagt, nämlich angesichts des totalen Weltchaos, wo Politik Zukunft verspricht, aber scheinbar nur den Weg dorthin versperrt, da ist die Kunst zur Stelle und ordnet alles. Sie, die Unendliche, die Erzmutter, die göttlich Geniale! Ist sie nach etwa 2000-jähriger Wartezeit tatsächlich bei den Wiener Festzwochen 2017 auf Erden gelandet?

Artikel jetzt twittern: Erzvater Realpolitik muss draußen bleiben. Fabian Faltin in VAN über Meeses/Langs ›Mondparsifal‹ in Wien.

Es ist jedenfalls ein kunstvoll komponiertes Sounddesign, das Bernhard Lang uns für die Fahrt im intergalaktischen Pappmaché-Fahrstuhl ins Ohr setzt. Vom Klangforum Wien unter Simone Young stringent und makellos herausgerendert, wird jede Phrase des Mondparsifals beharrlich mindestens drei Mal wiederholt, das Ganze ist trotzdem nicht länger als der Original-Parsifal. Ohne nennenswerte Zwischenfälle, Gravitationsstörungen oder Sauerstoffverluste bleibt man problemlos vier Stunden lang in dieser Wagnerwarteschleife hängen. Wagner, wie wir ihn kennen und vielleicht auch lieben, wird hier nicht übertrumpft, zerrupft oder entweiht, sondern von spektralen Dissonanzen, hyperpräzisen Mensch-Maschinen-Loops aus Akkordeon, Marimba und Synthesizer und einer auch nach vier Stunden immer noch famos köchelnden Jazzrock-Rhythmusgruppe wieder und wieder »überschrieben«, bis die zu Beginn groß verkündete Heilserwartung – »Der Richardwagnerstaat naht. Baby animalismus folgt« – irgendwann wie in Trance nur noch um sich selber kreist.

Nun, so geschliffen könnte es bis zum jüngsten Tag gerne weitergehen – und das wird es vom 15.-18. Oktober bei den Berliner Festspielen definitiv auch –, doch was wird dann aus dem Leitmotiv Z.U.K.U.N.F.T.? Ist das alles letztlich wieder nur ein risikofreies Opern-Ritual im Musikgourmettempel der Wiener Festwochen? Unter ihrem neuen Hohepriester und künstlerischen Leiter Tomas Zierhofer-Kin ist man 2017 immerhin angetreten, strenge Erzkulturhierarchien mit einer Maximaldosis Clubkultur, postkolonialer Realness, Queerness, Wellness (bzw. »Hamamness«) sowie Richard Wagner und Jonathan Meese aufzulockern und so ein rauschendes und alle Rahmen sprengendes »Fest« zu feiern.

Meeswein
Meeswein

Die Auswertung der operativ-künstlerischen Ergebnisse dieses Vorhabens überlässt der überzeugte Übermensch, der »die totalste Kunstherrschaft anvisiert«, aber lieber den anderen, den typischen Mindermenschen. Sie tummeln sich bei der Mondparsifal-Premiere zuhauf im Theaterfoyer: versnobbte Chefredakteure, pseudodemokratische Kulturpolitiker, durchideologisierte Wirtschaftsberater, kapitalmächtigste Kunst- und Meesesammler. Einer der allerbekanntesten unter ihnen, Karlheinz Essl, hat letztes Jahr leider einen Totalkapitalverlust erlitten; ich sah ihn mit rotem Stecktuch und betretenem Blick an der Bar vorbei und später alleine zur Garderobe schleichen. Andere Promis, auf deren Schultern keine Baumarkterzkonkursmasse lastet, durften sich selbst, ihre Göttergattinnen (die mit den frei schlackernden Edelsamt-Glockenhosen und wie vom Winde verwehten Föhnfrisuren), sowie die obligaten Wiener Juhu- und Buhbuh-Rufe in bewährter Festwochen-Manier vor laufenden ORF-Kameras zum Besten geben.

Meese Übermensch
Meese Übermensch

Für die radikalstwahre Kunstreligion und alles, was sie an Großem, Allergenialstem und Übergeilstem bislang hervorgebracht hat (zum Beispiel Richard Wagner, Adolf Hitler, Sean Connery, Dr. No, Jonathan Meese und Lionel Messi), gelten diese jammertraurigen Vertreter der einstigen Elite heute kaum mehr als der Premierminister von Montenegro für Donald Trump. Wenn überhaupt, dann benötigt man solche Bonzenspießer, Ehrenamtsträger und Kulturfunktionäre bloß noch als Staffage, um sich und das eigene Totalstprogramm in den Vordergrund zu drängen. »Parsifal ist der Urkünstler, vertraut nur der Kunst, ist instinktiv, nicht kreativ«, so lautete schon im Vorfeld Meeses Interview-Ansage an das Diktat der Kleingeister. »Kunst ist nicht Realpolitik.«

Insbesondere im herausragenden zweiten Teil, wo Parzefool nicht von Blumenmädchen sondern supersüßen asiatischen Baby-Animeegirls verführt werden soll, hätte man fast daran glauben können. Sie tanzen mit bunten Eurythmie-Bändern um einen riesigen Bambus-Samurai, in dessen Bauch sich Klingsor einem herzigen Teddybärenkoitus hingibt. Kurz danach rudert der jenseitige Mondparzefool Daniel Gloger im Winnetoukanu über die Bühne und singt uns mit einem übermenschlichen, bis in die letzte Reihe markerschütternden Blechsoldatenfalsett ins Walhalla.

Daniel Gloger
Daniel Gloger

Und damit wären wir eigentlich schon bei der ebenso unvermeidlichen wie erschöpfenden Gretchenfrage unserer Tage angekommen: was diese letztlich doch sehr akademisch anmutende Festwochen-Performancekunst unserem allerliebsten amerikanischen Überwutbürger und seinen zahlreichen realpolitischen Nacheiferern entgegenzusetzen hat, deren performative Tabubrüche sich dieser Tage im Sekundentakt über die Welt ergießen? Bei aller musikalischen Dekonstruktion und futuristischen WagnERZ-Waghalsigkeit – Meese, der mir und anderen Gästen am Orchestergraben in der Pause mit strahlenden Kinderkulleraugen aus seiner Live-Zeichnerloge zuwinkt, bleibt letztlich einem urchristlichen Gentleman’s Agreement verpflichtet, nämlich dem Gesetz der Inkarnation. Demnach haben die wahren Jünger und Erzmänner der Kunst zu respektieren, dass Gott und seine Totalstkunst niemals persönlich auf Erden erscheinen werden. An ihrer Statt hat uns der alleroberste Erzherrscher aber das Zweitbeste auf die Erden nieder geschickt, nämlich seinen Sohn und später entsandte er dann auch noch Papst Gregorius den Großen, Heidegger, Frankenstein, Helge Schneider, Hopp Frosch, Herbert von Karajan und John Wayne. Als seine fleischgewordenen Vertreter, Repräsentanten, Abgesandten und Stellvertreter, als seine Polit…

Orchestergraben
Orchestergraben

Nein! Nein! Bloß nicht wieder dieses Heulsusen-Pups-Popopo-P-Wort! Radikalste Realitätsverweigerung und Ideologienzertrümmerung! Kunstkunstkunst! K.U.N.S.T über alles! So befiehlt es das Kunstreinkarnationsdiktat, und die Untertanen haben sich gefälligst zu sputen. Sie heißen: Mr. Spock, Barbarella, Zardoz, Amfortas, Lohnegrinsebaby, Kundry, Klingor, John Sinclair, Edgar Wallace, Godzilla, Lolita, Dr. No, Scaramanga, Babymetal, der Arnold Schönberg Chor, und die Moomins. Ach, die hatten wir ja bereits! Dann also lieber Fritz Lang, dessen Nibelungen-Filmepos den eher ideenlosen dritten Teil als raumfüllende Projektion übertüncht.

Zardoz
Zardoz

Der gewagteste Sprechakt dieses Abends war womöglich ein ganz anderer, nämlich das Erzkunstvermittlungsprogramm der Wiener Festwochen. Da kauert vor Premierenbeginn Chefdramaturg Henning Nass im dichtgedrängten Buffetkeller des Theaters  – das kommt gleich viel radikaler als die biedere Musicalbühne im Stock darüber – auf einem simplen Stuhl, versinkt tranceartig in sein Mikrophon und slammt uns einige höchstdeutsche Erklärungen zum, ähem, »mythologischen Verwirrspiel« bzw. der »Privatmythologie« des Jonathan Meese hin.

Sollte man nicht eher von einem privaten Gerümpelkosmos sprechen, einem viral aufgeblasenen Schüler-Comicclub, einer Big-Budget, Daddy-Cool Hobbykellerkunst? Oder einmal vergleichsweise die üblichen Verdächtigen aus dem Wiener Dunstkreis herbeizitieren, etwa Hermann Nitschs aktionistisches Orgienmysterientheater, die Art Brut Künstler von Gugging, und Friederike Mayröckers überbordende Zettelarchivpoesie, die Meeses Phrasendrescherkunst doch deutlich mehr als nur ein Erz-Z voraus hat? Könnte man diesen Mondparsifal probeweise vielleicht auch mal an Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett im Wiener Prater messen oder meesen?

Aber wenn es eines gibt, was man einem so liebevoll ausgeschmückten und urverletztlichen Gesamtkunstherzenswerk niemals antun darf, dann solch bösartige Geschmacksfragen. Wenn »Mondparsifal Alpha 1-8 Erzmutterz der Abwehrz« von einer ideologie- und politikfreien Radikalstzukunft träumt, so lässt man dieses Raumschiff der urkindlichsten Zärtlichkeit doch lieber möglichst sanft im Erzchristlichen Urland der Mutterliebe landen, mitsamt all seiner Heiligen und seiner sogenannten Privatmythologie.

»Kunst ist die liebevollste Distanzschaffungsmaßnahme zu allem, was nicht Kunst ist«, formuliert es das Parsifal-Manifest auf Seite 5. Wer sich immer schon einmal seinen ureigenste Meese-Man-Cave gewünscht hat, der wird kaum eine bessere Bauanleitung finden als diese. In Wien ist dabei eine wunderbare und witzige Traumbastelburg aus Karton, Nostalgie und schwarzem Leder herausgekommen, und ein schönes Sinnbild für jenen sagenumwobenen »Safe Space«, den wir neo-wagnerianischen Männer des Westens offenbar mehr denn je nötig haben: wo Mann zugleich sepia-goldener Macho und verwöhntes Marken-Müttersöhnchen sein darf, und die eigene Kunst jedenfalls und unbedingt Chef ist. Erzvater Realpolitik muss draußen bleiben, und heizt die Stimmung indessen weiter kräftig an. ¶