VAN Playlist

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»Jeder der sprechen kann, kann auch singen«

Datum 24.02.2016

… davon ist Michael Betzner-Brandt überzeugt. Der studierte Kirchenmusiker und Dozent für Chor- und Ensembleleitung an der Universität der Künste Berlin, ist außerdem Autor, Stummfilmpianist und Workshopleiter, vor allem aber ist er Singanimator. Seit 2011 bringt er Laien dazu, im sogenannten »Ich-kann-nicht-singen-Chor« ihre musikalischen Schamgrenzen zu überwinden.

Am 28. Februar kann man das im Radialsystem selbst ausprobieren. Vorher hat er uns aber noch seine Lieblingschorwerke aus der Konserve zusammengestellt.

25.–28. Februar, Chor@Berlin 2016Das Vokalfest im RADIALSYSTEM V

Anton Bruckner: Vexilla regis; Netherlands Chamber Choir, Uwe Gronostay

Die Motetten von Anton Bruckner haben mich bereits in jungen Jahren begleitet. Ich habe sie in verschiedenen Chören gesungen und aufgeführt, doch als mir eine Aufnahme von Uwe Gronostay mit dem Netherlands Chamber Choir begegnete, war das ein starker Impuls für mich, mich intensiver mit dem Thema Chorleitung zu beschäftigen. Diese Homogenität, diese klangliche Wucht, die nie forciert klingt, diese eleganten Phrasierungen: Das wollte ich lernen. Als ich diese CD hörte, da habe ich meine Sachen gepackt und bin von meinem Studienort Detmold nach Berlin gezogen, um näher zu begreifen, was einen Chor zusammenhält und um bei Uwe Gronostay an der UdK Berlin zu studieren.

Bobby McFerrin: The Garden, aus dem Album Medicine Music

Bobby McFerrin hat mich inspiriert. Als Teenager hörte ich Don’t Worry, Be Happy. Dabei war es mir egal ob, beziehungsweise gar nicht bewusst, dass das nun A-cappella-Musik ist : Das Stück macht einfach gute Laune. Später dann bemerkte ich die Kraft und Meisterschaft, die Bobby entwickeln kann, indem er mit seiner Stimme und seinem Spirit viele Stimmen zu einem Ganzen zusammenbringt. Dabei findet er ganz eigene Formen und eine ursprüngliche Vokalmusik, die sich nicht so ohne weiteres mit Instrumenten nachspielen lässt. Auch seine Herangehensweise, als Improvisator größere musikalische Formen zu entwickeln, die dann doch notiert werden, hat mich fasziniert. Bis heute.

Gustav Mahler: 8. Sinfonie in Es-Dur

Ja, ich habe ein Faible für große Besetzungen. Als Jugendlicher hatte ich als Chorsänger mal Gelegenheit dazu, Mahlers Achte Sinfonie mit aufzuführen. Das war ein Ding! Groß gedacht und groß gemacht in jeder Hinsicht – die Besetzung ist einfach riesig, die Sinfonie heißt ja nicht umsonst ›Sinfonie der Tausend‹. Aber auch inhaltlich durchmisst Mahler geistige Welten, vom gregorianischen Choral bis zu den letzten Dingen aus Goethes Faust: ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis.‹ Das trifft es für mich heute beim Hören nach wie vor.

Duke Ellington: Sacred Concerts

Ich habe als Jugendlicher und während meiner Studienzeit gerne und viel in der Big Band gespielt, erstes Tenorsaxophon. So eine Band funktionierte anders als die Chöre, mit denen ich als Sänger oder Leiter zu tun hatte. Die Big Band groovt mehr, bietet Raum für individuelle solistische Ausflüge und kann auch nachts um drei noch in verrauchten Jazzkellern zur Höchstform auflaufen. So eine Big Band ist der kapitale Hirsch unter den Jazzensembles: Vom Soloinstrument über ein Klaviertrio bis zum umwerfenden Shout Chorus mit der ganzen Wucht einer disziplinierten Büffelherde. Mit Duke Ellingtons Sacred Concerts kam dann das eine zum anderen: Zum Groove und Swing der Band treten der Text und die Energie vieler Stimmen hinzu. Für mich eine ideale Besetzung. Und Musik, die Tiefgang hat und Spaß macht.

Arnold Schönberg: Friede auf Erden, op. 13

Arnold Schönberg war ein Wanderer zwischen den musikalischen Epochen. Er kannte seinen Wagner, er hat Brahms ausführlich studiert und das gesamte klassisch-romantische Handwerkszeug verinnerlicht. Aber er entwickelte sich persönlich weiter und gab mit der ›Emanzipation der Dissonanz‹ und der Zwölftonmusik selbst der Musikgeschichte einen entscheidenden Impuls mit. Als Sänger muss ich gestehen, dass seine tonalen Werke für mich einfacher zu bewältigen sind. Bei seinen (vergleichsweise wenigen) atonalen Kompositionen für Chor komme ich zu sehr ins Rechnen, wie denn wohl das nächste Intervall zu erreichen ist. Da ist das spätromantische Friede auf Erden doch eingängiger. Wobei nicht gesagt sein soll, dass es unanstrengend ist, solch einen wuchtigen Schinken über die Bühne zu bringen.