»Ich bin besessen von Struktur«

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Text · Titelbild MAZEN KERBAJ · Datum 7.3.2019

Ein Interview mit zwei Komponist/innen. Karen Power ist aus Irland und arbeitet hauptsächlich an der Schnittstelle von Instrumentalklängen und Alltagsgeräuschen. Mazen Kerbaj aus dem Libanon versteht sich gleichermaßen als Zeichner und Musiker, er komponiert und improvisiert auf einer präparierten Trompete. Beide sind für ein Jahr lang Gäste des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und treten beim diesjährigen »mikromusik. Festival experimenteller Musik und Sound Art« auf.

VAN: Was sind eure Erwartungen an dieses Jahr beim Berliner Künstlerprogramm?

Karen Power: Ich erwarte ganz viel Zeit! Zeit, die mir erlaubt, auch mal kontinuierlich an langfristigen Projekten zu arbeiten. Wenn man komponiert, steckt man schnell in Schleifen fest, die sich endlos wiederholen, ein Auftrag nach dem anderen muss bearbeitet werden, man arbeitet und arbeitet – das möchte ich gerne unterbrechen. Mazen Kerbaj: Für mich ist es etwas besonderes, überhaupt länger als zwei Wochen planen zu können. Die einzige Friedenszeit, an die ich mich erinnere, war die unter syrischer Anwesenheit im Libanon, ansonsten war und ist da alles wahnsinnig instabil, da macht man so etwas nicht.

Und an die Berliner Musikkultur?

Karen Power: Vor meiner Ankunft wusste ich von der großen Improvisationsszene, zu der es schon so viele irische Künstler gezogen hat. Was ich nicht erwartet hatte, war, dass Berlin so leise ist. Und nicht nur das, Berlin hat auch kein richtiges musikalisches Zentrum, die Musik bewegt sich hier, hat mehrere Schauplätze – das ist untypisch, und gerade am Anfang geht man deswegen oft verloren.  Mazen Kerbaj: Was die Musiker in dieser Stadt betrifft, so gibt es für mich keinen besseren Ort als Berlin! Es ist das Zentrum der Improvisationsszene, obwohl es innerhalb Westeuropas so abseits liegt … anscheinend war es mal sehr billig …

Ich habe begonnen aufzulisten, mit wem ich gerne einmal gemeinsam auftreten würde, nach 30 Namen habe ich aufgehört zu schreiben (lacht). In Beirut besteht die Szene aus insgesamt neun Leuten. Allein das Konzertangebot jeden Abend überfordert mich.

Mazen Kerbaj (links) und Karen Power (rechts)
Mazen Kerbaj (links) und Karen Power (rechts)

Wie klingt Berlin?

Karen Power: Hier draußen (wir treffen uns in Karens Wohnung in Halensee) höre ich vor allem viele Krankenwagen.  Mazen Kerbaj: Ja! (er wohnt im selben Haus, der DAAD hat hier sämtliche Wohnungen für seine Stipendiaten angemietet) Die hört man in Beirut nie, das kenne ich nur aus Europa! Karen Power: Die Sirenen sind ein Beleg dafür, dass Berlin sehr leise ist. In New York ist es so laut, dass sie gar nicht auffallen. Aber hier fehlen irgendwie die mächtigen Industrie- und Großstadtgeräusche. Und die Geräusche die da sind, können anders als in hochgebauten Großstädten leicht entfliehen.

Aber es ziehen doch immer mehr Leute nach Berlin, machen die keinen Sound?

Karen Power: Nein, der Sound, den ich meine und mit dem ich arbeite, liegt da drunter.

In der Unterwelt?

Karen Power: Zum Beispiel. Im Bunker an der U-Bahn-Station Gesundbrunnen habe ich gerade drei Nächte lang das Material für das Stück aufgenommen, mit dem ich das Stück für das Mikromusik Festival komponiere.

Karen Power: Door plus floor bunker recordings (Feldaufnahmen)

Mazen Kerbaj: Das klingt spannend. Ich hab von dem Stück gehört und gedacht, Du hättest das Material aus der U-Bahn.  Karen Power: Nein, es gibt ein Tunnelsystem unter der Stadt. Der Bunker klingt sehr lebendig, jedes Geräusch da unten entsteht durch Frequenzen und Vibrationen von Zügen und Verkehr. Die meisten Dinge sind lautlos und schwer lokalisierbar, weil es so viele Ein- und Ausgänge für den Schall gibt. Wenn man an solch einem Ort ist, hört man aber trotzdem auf eine bestimmte Weise: es ist dunkel, man ist allein, die Sinne sind schärfer als sonst und das Gehör wird zum wichtigsten Organ.

Fotos Kai Bienert
Fotos Kai Bienert

Womit nimmst du auf?

Karen Power: Hauptsächlich mit Ultraschallmessgeräten (Karen hält das Messgerät an eine Stehlampe und führt vor, wie es klingt) und Kontaktmikrofonen, die vor allem die tiefen Frequenzen aufnehmen.

Die Sounds mit denen ich arbeite, sind immer leise, flüchtig und häufig verzerrt. Man muss sie rauskitzeln, und meistens weiß ich noch nicht einmal was mich an Ton erwartet, wenn ich ein Mikrofon ansetze.

Wo beginnt Sound?

Karen Power: Wenn ich das beantworten könnte, würde ich glücklich sterben.  Mazen Kerbaj: Die einfachste Antwort darauf ist vermutlich: Sound beginnt, weil Karen Musikerin ist. Wie kann ein Maler entscheiden, wann und ob ein Fleck ein Bild ist? Der künstlerische Aspekt ist doch, wie man ein Material verwendet, was passt zusammen, was nicht, was gehört zusammen? Man richtet sich da als Künstler schon auch in Konzepten ein, aber der Rest ist doch immer sehr subjektiv.

Mazen Kerbajs Notizbuch

Mazen, 2006 hast du ein Stück veröffentlich mit dem Titel Starry Night, in dem du Trompetenklänge mit Aufnahmen der Bombeneinschläge in Beirut mixt. Gestehst du der Musik hier eine gewisse Rolle zu? Ist sie eine Art Zeuge?

Mazen Kerbaj: Ich glaube nicht daran, dass Musik irgendetwas verändern kann. Und auch in diesem Fall war sie vor allem für mich wichtig. Im Vergleich zu Berlin ist Beirut wahnsinnig laut, sehr dicht besiedelt, jetzt mit noch viel mehr Flüchtlingen als 2006. Es war paradox, aber ich habe Beirut nie so leise erlebt wie im damaligen Libanonkrieg. Wegen der andauernden Bombardierungen waren viele Menschen in die Berge geflohen, Autos fuhren aus Mangel an Sprit irgendwann gar nicht mehr. Es war das erste Mal, dass wir Vögel in der Stadt hörten und Zikaden; wir wussten gar nicht, dass es die bei uns gibt.

Fotos Stewart Mostofsky
Fotos Stewart Mostofsky

In dieser Zeit habe ich Bombeneinschläge und Flugzeuggeräusche aufgenommen, insgesamt neun Stunden, nicht als Feldaufnahmen, sondern als Musik. Die Piloten haben irgendwie mit mir improvisiert. Die wussten das natürlich nicht; manchmal würde ich ihnen das gerne sagen, ›Ey, du und ich, wir haben schon mal zusammen gespielt.‹.

Über Starry Nights muss ich immer wieder sprechen; es gab mal einen britischen Journalisten, der sagte mir, es gehöre sich nicht, Musik aus der Bombardierung von Menschen zu machen. Ich habe ihm geantwortet, dass es sich noch weniger gehört, Menschen überhaupt zu bombardieren! Ich hatte das Glück, während dieser Zeit Künstler zu sein und meinen Beruf weiter ausüben zu können. Dadurch bleibt man relativ klar und kann die Angst von sich fernhalten. Ein kleiner Teil von mir hat die Situation damals als Sound-Situation wahrgenommen. Warum ich daraus ein Stück gemacht habe, habe ich mich aber nie gefragt. Ja, vielleicht ist sie ein bisschen wie ein Tagebuch, wie einige meiner Zeichnungen, aber auch hier bleibt Musik für mich etwas sehr abstraktes. In diesem Fall wollte ich einfach irgendwie mit der Kriegssituation umgehen.

Ist Musik für dich genauso abstrakt, Karen?

Karen Power: Bei mir ist das unterschiedlich. Ich mache viele Aufnahmen ganz dezidiert als Feldaufnahmen, da wird es natürlich konkreter. Manche meiner Arbeiten erlauben daher schon Assoziationen. Ich denke übrigens sehr viel an die Zuhörer – die Musik, die ich mache, umfasst zwar alle Sinne, aber sie trifft dich nicht direkt, man muss sich bewusst drauf einlassen.

Gibt es einen Unterschied in euren praktischen Arbeitsweisen? Karen, du scheinst auf jedes Detail in deinen Kompositionen zu achten, Mazen, du wirkst ziemlich spontan.

Karen Power: Ich bin besessen von Struktur! Das wichtigste in einer Komposition ist ein solides Fundament: Das Stück ist eine Stunde lang, der Künstler hat diese oder jene Funktion – von da an darf alles passieren.  Die Struktur ist so wichtig, weil ich mich sonst nicht auf den Sound konzentrieren kann.  Mazen Kerbaj: Bei mir ist das anders, da ich hauptsächlich improvisiere. Trotzdem gibt es da eine Struktur, meine Stücke haben für mich schon eine Logik. Die strukturierenden Grenzen, die man so setzt, können groß oder klein sein. Die »Werkstatt für Potentielle Literatur«, Oulipo, hat gut illustriert, was das heißen kann: La Disparition (1969) ist ein französisches Buch, das ohne den Buchstaben »e« auskommt, den meist verwendeten Buchstaben in der französischen Sprache. Trotzdem kannst du das Buch als Roman lesen. Man braucht solche Strukturen um zu erkennen, wie frei man dann darin sein kann. Trotz aller Struktur: Wenn man sich zu sehr um den Weg kümmert, kann man sich nicht hinreichend für das Hier und Jetzt interessieren.

Was ist euer Selbstverständnis als Komponist, und was rät man jungen Leuten, die Komponist/in werden wollen?

Karen Power: Ich begreife mich selten definitiv als etwas, aber wenn ich es als Komponistin täte, würde ich sagen, dass ich Raum und Zeit irgendwie beeinflussen kann. Was braucht ein junger Mensch, um Komponist zu werden? Beharrlichkeit!  Mazen Kerbaj: Ich habe keine Form von Selbstverständnis und Ratschläge kann ich keine geben. ¶